Dortmund..

Zum wiederholten Male haben vermummte Rechtsradikale in der Nacht zu gestern die linke Szenekneipe „Hirsch Q“ in der Dortmunder Innenstadt angegriffen. Ein bitterer Vorgeschmack auf den angekündigten Aufmarsch der Neonazis am 4. September. Dann wollen die Rechten den Antikriegstag abermals für ihre menschenverachtende Parolen missbrauchen. Die Dortmunder Polizei rüstet sich für einen ihrer größten Einsätze.

Wie viele Beamte im Einsatz sein werden, 2009 waren es 3000, mit welcher Taktik die Polizei in diesen Tag gehen wird – aus dem Präsidium gibt es nur dürre Verlautbarungen. Kritiker aus dem bunten antifaschistischen Lager unterstellen der Behörde, gar kein Konzept im Umgang mit den Neonazis zu haben.

Seit gut zehn Jahren provozieren die Rechtsextremen die Dortmunder Öffentlichkeit und suchen die - auch gewalttätige – Auseinandersetzung mit den linken Kräften. Wie der erneute Überfall auf die „Hirsch Q“ zeigt, der mit Pflastersteinen, Flaschen und Reizgas erfolgte, schrecken die „Autonomen Nationalisten“ vor Straßenkampf nicht zurück. Bestes Beispiel war der heimtückische Überfall auf die DGB-Maikundgebung am 1. Mai 2009, als rund 400 Neonazis den friedlichen Tross attackierten. Gleichwohl blieben Bedrohungen, Denunzierungen oder Farbanschläge an der Tagesordnung.

So ist Dortmund neben Berlin zu einem der Stützpunkte der Autonomen Nationalisten geworden, wie unlängst eine von der Stadt in Auftrag gegebenen Studie belegt. Allein in 2009 hat die Staatsanwaltschaft Dortmund 249 Verfahren mit rechtsradikalem Hintergrund eingeleitet, davon kamen 70 zur Anklage. Schon seit den 70er Jahren ist die Stadt das Ziel überregionaler brauner Aktivitäten.

SS-Siggi noch immer Vorbild

Für die Szene stand in der Vergangenheit vor allem ein Mann: Siegfried Borchardt („SS-Siggi“). Er war Landesvorsitzender der neonazistischen „Freiheitlichen deutschen Arbeiterpartei“ (FAP), die 1995 verboten wurde. Er sorgte für erhebliche Bedrohungen. Obwohl er sich zurückgezogen hat, bleibt er Vorbild für die neue Generation.

Viele Jahre lang unterschätzte man in Politik, Verwaltung und Polizei das Pro-blem. Man wollte nicht wahrhaben, dass immer mehr Nachwuchskräfte der Rechtsradikalen und ihre Mitläufer nach Dortmund zogen. Lange waren antifaschistische oder bürgerliche Bündnisse wie der Arbeitskreis gegen Rechtsex-tremismus und das Bündnis Dortmund gegen Rechts, die Kirchen oder der DGB auf sich allein gestellt im Kampf gegen den rechten Terror.

Rechter Internethandel in Dortmund

Erst langsam vollzog sich bei der Stadt ein Gesinnungswandel. Sie setzte einen Sonderbeauftragten für den Aktionsplan „Vielfalt, Toleranz und Demokratie“ ein, der die Aktivitäten in der Stadt vernetzt. Auch bei der Polizei hat ein Umdenken eingesetzt, da die Autonomen Nationalisten bei ihren Aufmärschen auch Polizisten angriffen.

Mit Ladengeschäften oder einem Internethandel versorgten und versorgen die Autonomen Nationalisten aus Dortmund die Szene mit Bekleidung, rechter Musik und mit Ausrüstung, die sich als Waffe einsetzen lässt. Nur mit Mühe ließ sich der Zuzug brauner Ansiedlungen stoppen. Wichtige Szeneläden wurden geschlossen. Vor wenigen Wochen kaufte die Stadt das Haus, in dem einer der führenden Köpfe der Autonomen Nationalisten einen Internethandel betreibt.

40 Gegen-Demos, Bunte Feste und Aktionen

Zunächst bescherte der Hamburger Neonazi Christian Worch Dortmund Anfang 2000 die ersten Aufmärsche von Rechtsextremen. Mittlerweile haben die jungen Dortmunder Neonazis das selbst übernommen, organisieren Demos, zu der sie am Antikriegstag nun schon zum 6. Mal aufrufen. Dabei mobilisieren sie ihre „Kameraden“ nicht nur bundesweit. Sogar aus Belgien, Holland, Bulgarien oder auch Polen und Ungarn reisten Rechtsextreme in die Westfalenmetropole.

In dem einen oder anderen Fall versuchte Dortmunds Polizeipräsident Hans Schulze die rechten Aufmärsche durch Verbote zu stoppen. Doch kippten die Gerichte diese Verbote - wie im vergangenen Jahr - in letzter Minute. Schulze hatte gehofft, dass die Gerichte nach den gewalttätigen Übergriffen auf die Mai-Kundgebung die Verbote bestätigen würden. Letztlich kippte das Bundesverfassungsgericht einen Tag vor dem Aufmarsch das Verbot.

In diesem Jahr verzichtete Schulze auf ein Verbot, was ihm harsche Kritik einbrachte. Er verhängte aber Auflagen für den Aufmarsch, der am Hauptbahnhof starten soll. Tausende Dortmunder wollen wieder gegen die Nazis auf die Straße gehen. Das Bündnis „Wir stellen uns quer“ hat erstmals zu einer Blockade des Aufmarsches, wie in Berlin und Dresden, aufgerufen. Unter dem Motto „Je mehr Raum wir in der Stadt einnehmen, desto weniger Platz haben die Nazis“ gibt es knapp 40 Demos, bunte Feste und Aktionen. Seit Monaten ist die Polizei damit beschäftigt, ihre Aktivitäten zu bündeln, um ein gewaltsames Aufeinandertreffen beider Seiten zu verhindern. Es wird – wieder einmal – einer der größten Einsätze der Dortmunder Polizei sein.