Bonn.

Ein Fall für den Papierkorb: Knöllchen aus dem befreundeten EU-Ausland haben Autofahrer bislang gern ignoriert. Vorbei. Seit vier Wochen werden die Bußgeldbescheide auch in Deutschland eingetrieben. Zuständig ist das Bundesamt für Justiz in Bonn.

Wie viele Fälle es im Jahr geben wird? Thomas Ottersbach zuckt mit den Schultern: „Es gibt keine seriöse Schätzung. Dass es mehr Arbeit geben wird, liegt auf der Hand.“ Der Sprecher vom Bundesamt für Justiz sieht seine Behörde gewappnet: „Der Bundestag hat 99 neue Stellen genehmigt. Wir wachsen von jetzt 700 auf 800 Mitarbeiter.“

Die Aufstockung des Personals hat Gründe: EU-weit müssen Verkehrssünder mit Verfolgung ihres Verstoßes rechnen. Ab 70 Euro Bußgeld wird EU-weit abkassiert: Europa wächst zum vereinigten Knöllchenreich zusammen.

Beispiel: Gerhard Kramer aus Hagen ist in Eindhoven in den Niederlanden zu schnell unterwegs, bei 20 km/h macht es mindestens 100 Euro. Den Bußgeldbescheid wirft er weg, die weitere Mahnung auch. Wen stört es? Die Behörde in Eindhoven.

Sie setzt ein achtseitiges (!) Formschreiben plus Übersetzung auf und wendet sich an die Bonner Behörde mit der Bitte um Rechtshilfe. „Wir prüfen, ob der Fall mit unseren rechtlichen Maßstäben im Einklang ist“, sagt Ottersbach. „Das Vergehen muss auch bei uns strafbar sein.“

Ein aufwendiges und teures Verfahren, aber keine Einbahnstraße. Wenn Riet van Dyck aus Eindhoven in Hagen bei Rot über die Ampel fährt und gleichzeitig das Handy am Ohr hat, wird ebenfalls ein saftiges Bußgeld fällig. Ihr hilft es nicht, Schreiben aus Deutschland zu missachten. Beim Sprecher vom ADAC-Westfalen, Peter Meintz, stellt sich angesichts dieser Entwicklung Freude ein: „Das EU-weite Eintreiben des Bußgeldes hebt die Verkehrssicherheit und sorgt für ein Stück mehr Gerechtigkeit.“

Aus seiner Sicht lernen alle Autofahrer auf diese Weise, sei es der deutsche in Frankreich, oder der schwedische in Spanien, „dass sie sich nicht mehr wie die Vandalen im Mittelalter auf der Straße benehmen können“. Wenn die Regeln im Straßenverkehr nicht kontrolliert würden und die Verstöße keine Folgen hätten, könne man sie sich sparen. In Deutschland haben 20 000 Ordnungsbehörden die Chance, ausländische Verkehrssünder zu belangen. Meintz: „Ein sinnvoller Schritt zur europaweiten Harmonisierung.“ Ein kleiner Schritt.

Zu unterschiedlich sind die Rechtssysteme. Schwachstellen bei der Bekämpfung der Verkehrssünder gibt es genug. So gilt in den Niederlanden, Frankreich und Italien die Halterhaftung, in Deutschland nicht. ADAC-Mann Meintz empfiehlt, sich vor jedes Reise ins Ausland schlau zu machen. Zu unterschiedlich sei die Gewichtung der Verstöße. Stimmt: Alkohol am Steuer kostet in Finnland mindestens 15 000 Euro, Handy am Ohr in Italien 155 Euro.

Am Ende hat die EU-weite Vollstreckung der Bußgeldbescheide ein Gutes. Nehmen wir den Fall Kramer. Wenn dieser den Niederländern die kalte Schulter zeigt und das Bundesamt für Justiz das Geld eintreibt, fließt es in die Bundeskasse. Die Stadt Eindhoven sieht keinen Cent.