Berlin/Düsseldorf. Wenn die Wunden längst verheilt sind, leidet die Seele weiter: Viele Opfer von Verkehrsunfällen haben mit psychischen Folgeerkrankungen zu kämpfen. Unterstützung ist für die Opfer meistens nur schwierig zu finden. Das kann die Beschwerden verschlimmern - oder sogar deren Ursache sein.

Knochenbrüche, Schnittwunden, Prellungen. An diese Verletzungen denkt man, geht es um die Folgen von Verkehrsunfällen. Die seelischen Wunden werden leicht übersehen - häufig leider auch von Ärzten und Pflegern. Eine jüngst veröffentlichte Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) ergab: Etwa jedes vierte Verkehrsunfallopfer leidet an psychischen Folgeerkrankungen wie Angst, Depression oder einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Diese entwickeln sich oft kurz nach dem Horrorerlebnis, manchmal auch erst Monate später.

Typische Symptome sind nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) Alpträume, Gereiztheit, innere Unruhe, Teilnahmslosigkeit oder das plötzliche Wiedererleben des Unfalls. Die BASt-Studie zeigt nach Ansicht von DGPPN-Präsident Prof. Wolfgang Maier im Ergebnis "ein realistisches Bild": Psychische Unfallfolgen seinen keine Seltenheit, kämen in Diagnostik und Versorgung aber oft zu kurz.

Psychisch Geschädigte erhalten selten Hilfe

Dafür gibt es laut Maier mehrere Gründe: Mangelnde Sensibilität des Krankenhauspersonals für Symptome seelischer Unfallfolgen, vor allem aber für Risikofaktoren, die eine Folgeerkrankung begünstigen. "Psychische Langzeitstörungen lassen sich in zwei, drei Wochen Behandlungszeit nach einem Unfall noch nicht feststellen. Aber Mediziner müssten beispielsweise das Risiko erkennen, wenn ein Patient keine familiäre Anbindung hat und mit seinen Sorgen allein dasteht oder wenn er bereits vorher psychisch erkrankt war." Leider sei das Krankenhauspersonal in der Regel dafür nicht ausgebildet.

Maier kritisiert auf der anderen Seite Mängel im Gesundheitssystem und im Versicherungswesen. Die allgemeine Verkürzung von Krankenhausaufenthalten zum Beispiel, die es erschwere, psychische Unfallfolgen zu erkennen. Und die Schwierigkeit für Unfallopfer mit drohender oder akuter psychischer Folgeerkrankung, einen Therapieplatz inklusive Kostenübernahme zu bekommen. "Unfallopfer fühlen sich in dieser Situation ausgeliefert und ungerecht behandelt", sagt Maier. "Sie leiden körperlich und seelisch, erhalten aber keine Unterstützung. Insbesondere das Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins begünstigt psychische Beschwerden - oder es ist sogar der Auslöser dafür."

Keine Infos zur Psyche in Krankenhausberichten

Davor warnt auch Stefanie Jeske. Sie ist Gründerin und Vorsitzende des Vereins Subvenio in Düsseldorf, der sich der Unfallopferhilfe verschrieben hat. "Der seelische Schaden nach einem Verkehrsunfall kann gravierend sein oder es durch mangelnde Hilfe von außen werden."

Sechs Monate Wartezeit beim Psychologen sind für Kassenpatienten keine Seltenheit. Dazu komme nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall meist die Auseinandersetzung mit der gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherung um die Kostenübernahme. "Dazu muss der Patient medizinische Nachweise für die Notwendigkeit erbringen. Nur ist mir leider bisher noch kein Krankenhausbericht unterkommen, der auch die psychologische Seite berücksichtigt", stellt Jeske fest.

Psychische Erkrankung häufig Tabu-Thema

Dieses Nachspiel nach einem Verkehrsunfall kostet Zeit und Nerven. Beides haben Unfallopfer aber nicht, wenn sich eine Posttraumatische Belastungsstörung oder Depression anbahnt. "Wer bei sich selbst nach einem Unfall Alpträume, wiederkehrende Angstzustände und andere Symptome feststellt, muss das ernst nehmen und rechtzeitig reagieren, statt vor den Problemen die Augen zu verschließen", so Jeske. "Leider sind psychische Erkrankungen für viele noch ein Tabuthema - auch für Angehörige oder Freunde, die bei nahestehenden Menschen Anzeichen dafür beobachten", bedauert sie.

Der Erfolg einer Therapie hängt maßgeblich davon ab, wie schnell die Erkrankung erkannt und die Behandlung begonnen wird. Für die Kfz-Versicherer bedeutet das laut Jeske: "Sie müssten sich viel mehr auf die Früherkennung und frühzeitige Behandlung psychischer Unfallfolgen einstellen - so wie die gesetzliche Unfallversicherung im beruflichen Bereich." DGPPN-Präsident Maier sieht das genauso. (dpa)