Essen. Im Schulsportunterricht oder im Verein passieren immer wieder Zwischenfälle. Nicht selten stauchen oder brechen sich die Kinder etwas. Doch Experten warnen: Es wird zu schnell operiert, nicht immer sei eine OP wirklich nötig.

Wenn Kinder und Jugendliche zum Arzt gehen müssen, dann haben sie sich oft während des Sportunterrichts oder des Trainings etwas verstaucht oder gebrochen. Mehr als 600 000 Schulsportunfälle im Jahr führen laut der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH) dazu, dass sich in Deutschland 54 von 1000 Schülern pro Jahr verletzen. Im Beirat der Medizinergesellschaft sitzt Professor Peter P. Schmittenbecher, Direktor der Kinderchirurgischen Klinik am Klinikum Karlsruhe als Experte. Er weiß, wie Verletzungen zustande kommen, auf welche Weise sie sich behandeln lassen und wie man vorbeugen kann.

Wie kommt es, dass sich viele Kinder beim Sport verletzen – ist es nicht so, dass sie sich in der Regel zu wenig bewegen?

„Wir beobachten in Deutschland inzwischen ein ähnliches Phänomen wie in Amerika. Ein Teil der Kinder bewegt sich zu wenig, der andere Teil ist sehr aktiv“, sagt Peter Schmittenbecher. Diejenigen, die Bewegung nicht gewohnt sind, erleben im Sportunterricht häufig Unfälle, weil sie sich ungeschickt anstellen – zum Beispiel nicht ausweichen können, wenn ein Klassenkamerad schnell auf sie zuläuft. „Sportlehrer und Eltern müssen diese Jugendlichen gut begleiten und an ihre Leistungsmöglichkeiten heranführen.“

Warum erhöht sich die Gefahr beim aktiven Nachwuchs?

Kinderchirurg Peter Schmittenbecher beruhigt: „Die meisten Verletzungen sind Bagatellen, die bei Mannschaftssportarten wie Fuß- oder Handball zustande kommen: ein umgeknickter Fuß, ein geprelltes Knie oder ein verstauchter Finger.“ Als gefährlicher sieht er die Überlastungsschäden an, die durch zu einseitiges und intensives Training oft bei jungen Turnern, Langstreckenläufern oder Schwimmern entstehen. Dadurch drohen so genannte Ermüdungsbrüche und chronische Sehnenentzündungen bis hin zu verformten Knochen, begleitet von starken Schmerzen.

Wie kommen diese Schädigungen zustande?

Vor allem in der Pubertät, wenn der Körper einen Wachstumsschub macht, reagiere das Gewebe empfindlich, so Schmittenbecher. Aus diesem Grund plädiert er für mehr Erholungspausen. „Die jugendliche Wirbelsäule ist ständigen extremen Bewegungsabläufen noch nicht gewachsen.“ Der Kinderchirurg rät auch zur Vorsicht beim neuen Lieblings-Freizeitsport Trampolinspringen: Füße und Ellenbogen können in Mitleidenschaft gezogen werden, wenn ein Kind falsch landet – weil zum Beispiel Kleine und Große gemeinsam hüpfen und ein Ungleichgewicht entsteht.

Auf welche Weise können Kinder geschützt werden?

Im Alltag und beim Freizeitsport kann es der Helm sein, der beim Fahrradfahren getragen wird und bei einem Unfall davor bewahrt, dass der kleine Radler ein schweres Schädel-Hirn-Trauma erleidet. Inliner und Waveboarder sollten auf jeden Fall Handgelenke und Ellenbogen schützen – denn selbst wer sicher fährt, ist nicht davor gefeit, dass ein anderer Verkehrsteilnehmer einen Fehler macht und einen Zusammenstoß provoziert. „Bei Intensivsportlern ist ein richtiger Trainingsaufbau wichtig“, sagt Professor Schmittenbecher. Sein Rat an ehrgeizige Eltern und Betreuer im Verein: Die Kinder sollten zehn Prozent der Zeit für das Warm-up aufwenden und an maximal fünf Tagen pro Woche trainieren. Am besten sollten Jugendliche zwei Monate am Saisonende aus ihrer gewohnten Sportart aussteigen und etwas anderes machen – Kunstturner könnten zum Beispiel Tennis spielen.

Wie werden Verletzungen am besten behandelt?

Bei Bagatellen wie kleinen Wunden reichen meist Pflaster oder Salbenverbände. „Inzwischen haben wir auch bei Knochenbrüchen kindgerechte Operationsverfahren, zum Beispiel durch die Knopflochchirurgie mit ihren Mini-Schnitten und Implantaten, die an kleine Körper angepasst sind“, erklärt Schmittenbecher. Allerdings dürfe gerade bei Kindern nicht jeder Bruch operiert werden – eine Tendenz, die er ebenso wie sein Kollege Professor Lucas M. Wessel, Direktor der Kinderchirurgischen Klinik der Universitätsmedizin Mannheim, mit Sorge beobachtet. Viele Eingriffe seien überflüssig, denn es habe sich herausgestellt, dass Brüche oft von allein heilen – vor allem am Unterarm, nahe dem Handgelenk. Der Arm müsse in einem solchen Fall nur mit Gips ruhig gestellt werden. „Nahe am Handgelenk gibt es eine sehr aktive Wachstumsfuge, die ständig neue Knochensubstanz bildet“, erläutert Schmittenbecher. Eine Studie, gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Forschungsministerium, soll nun feststellen, wann es sinnvoll ist, bei Brüchen auf die Selbstheilungskräfte des Körpers zu vertrauen.

So finden Sie einen Experten

Nicht in jeder Unfallchirurgie eines Krankenhauses arbeitet ein Arzt, der auf die Behandlung von Kindern spezialisiert ist. Um sicherzugehen, dass der Nachwuchs die richtige Therapie bekommt, kann man mit Hilfe der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie zu Experten in der näheren Umgebung gelangen. Auf der Homepage www.dgkic.de finden sich unter den Unterpunkten „Kinderchirurgie in Deutschland / Kliniken und Praxen“ Listen mit kinderchirurgischen Kliniken und Abteilungen sowie weiteren, spezialisierten Ärzten.

Niedergelassene Kinderchirurgen können auch über ihren Berufsverband gesucht werden: www.kinderchirurgie.com.