Recklinghausen. Wie bekommen stark übergewichtige Menschen ihr Fett weg? Das Adipositaszentrum des Knappschaftskrankenhauses in Recklinghausen weiß Rat. Zur Not hilft eine Magenverkleinerung. Dabei wird jede Operation von einer Therapie begleitet - und die Rückfallqoute liegt noch bei zehn Prozent.

Marc H. ist es leid. Jahrelang quälte sich der 1,90-Meter-Mann mit seinem Übergewicht herum. Schon immer war er ein bisschen dick gewesen, doch mit dem Einstieg ins Berufsleben verlor er die Kontrolle. Auf dem Weg zur Arbeit im Auto, den Tag über im Büro, abends auf der Couch – den Großteil seines Alltags verbrachte Marc nahezu regungslos. Das blieb nicht ohne Folgen: Plötzlich brachte er 220 Kilogramm auf die Waage. Für Sport war keine Zeit, und auch Diäten scheiterten am Arbeitsstress. Wie schlimm es tatsächlich um ihn stand, eröffnete ihm aber erst sein Hausarzt: Wenn du so weitermachst, lebst du nicht mehr lange.

Keine OP ohne begleitende Therapie

Das war im April 2013. Heute sitzt Marc im Adipositaszentrum im Knappschaftskrankenhaus Recklinghausen, eine Spezialabteilung für Übergewichtige. Er wartet auf seine OP. In vier Tagen ist es soweit: Dann wird sein Magen um vier Fünftel verkleinert. Bis dahin muss er Flüssignahrung zu sich nehmen. Zehn Tage lang Brühe, Saft und Brei, 800 Kalorien pro Tag. So viel wie zwei Schokoladen-Muffins vom Bäcker. Je dicker der Patient, desto wichtiger diese Maßnahme, erklärt Chefarzt Prof. Dr. Manfred Büsing: „Sonst tropft das Öl bei der OP aus der Leber raus.“ Für Marc bedeutet das viel Disziplin. Doch es ist erst der Anfang einer Behandlung, die ihm viel abverlangen wird. Körperlich wie seelisch.

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Auch deshalb ist die Recklinghausener Klinik zum Exzellenzzentrum für Adipositas-Chirurgie geworden: Ohne begleitende Therapie wird nicht operiert. Seit 2002 wurden so bereits 2000 Übergewichtige behandelt. Und es werden ständig mehr: In ganz Deutschland steigen die Zahlen der Eingriffe bei adipösen Patienten immer schneller an. Laut einer aktuellen Statistik der DAK-Gesundheit haben sich die Kosten der stationären Behandlungen seit 2008 verdoppelt. So auch in NRW: Von 306.000 Euro für Operationen mit Magenband, Magenballon oder Magenverkleinerungen stiegen die Kosten auf 612.000 Euro. Allein im ersten Halbjahr 2013 liefen 381.000 Euro auf: Und das nur für die Versichterten der DAK.

Der Trend zeigt sich auch in der Recklinghäuser Bilanz: Rund 500 Patienten werden hier pro Jahr operiert. Die Magenverkleinerung, bei der 80 bis 90 Prozent des Magengewebes entfernt werden, ist der häufigste Eingriff. Übrig bleibt der „Schlauchmagen“. Dank minimal-invasiver Technik, bei der nur winzige Einschnitte in die Bauchdecke nötig sind, kann der Patient nach drei bis vier Tagen das Krankenhaus verlassen. Die Aussichten: Im Bestfall 70 Prozent Gewichtsverlust in anderthalb Jahren. Rückfallquote: zehn Prozent.

Schlauchmagen namens Mathilda

Bis zu 400 Kilo bringen die Patienten von Prof. Dr. Büsing auf die Waage. Da ist spezielle Ausrüstung nötig: „Eine normale Toilette ist nur bis 160 Kilogramm zugelassen. Setzt sich ein dickerer drauf, kann sie aus der Wand brechen. Da brauchen wir schon etwas stabileres.“ Und auch Rollatoren, Rollstühle, Operationstische oder ganz normale Stühle müssen in Übergröße angeschafft werden.

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Tamara L. kann sich wieder setzen, worauf sie will. Seit April 2012 hat sie einen Schlauchmagen. Sie hat ihn Mathilda getauft. Mathilda ist ein Familienmitglied geworden: Schwestern, Nichten und Neffen wissen, wer gemeint ist. Ihrer Mathilda verdankt Tamara einen Gewichtsverlust von 70 Kilo, und damit ein ganz neues Lebensgefühl: „Ich bin eine komplett neue Frau geworden. Früher habe ich zu allem Ja und Amen gesagt, jetzt habe ich Selbstbewusstsein.“ Jedes Jahr am 17. April feiert sie Mathildas Geburtstag. Geht shoppen, gönnt sich etwas, zelebriert ihr neues Leben. Die Schmerzen und die Belastungen durch die Eingriffe – denn der ersten Operation folgten Hautstraffungen an Bauch, Armen und Beinen – sind es für die 33-Jährige wert: „Die OP war für mich ein Lebensretter. Ich war bettlägerig, mein Mann musste mich anziehen, Unterwäsche, Socken, alles. Dazu die Depressionen und die Diskriminierungen, wenn die Leute mich anstarrten und hinter meinem Rücken tuschelten. Das war mein letzter Ausweg.“

Marc H. steht das alles noch bevor. Im Operationssaal werden sechs Menschen um ihn stehen, während einer von ihnen, Prof. Dr. Büsing, mit einem Spezialinstrument seinen Magen durchschneiden wird. Wenn er den Großteil des Organs abgetrennt hat, wird er ihn durch ein Rohr, das aus Marcs Bauchdecke ragen wird, ans Tageslicht befördern. Und dann wird alles an Marc liegen. Er kann seinen Schlauchmagen wieder ausdehnen, indem er so isst wie zuvor – oder er gibt ihm einen Namen, und beginnt ein neues Leben.