Berlin. Das Forschungsprojekt, das die Arzneimitteltests des Westens an DDR-Patienten aufarbeiten wird, soll in der Berliner Charité stattfinden. Bundesbeauftragter Roland Jahn fordert zudem Firmen und DDR-Mediziner zur Mitarbeit auf. Ziel ist es, die Hintergrundinformationen ans Licht zu bringen.

Die einen hofften, dass die Medikamente ihr Leben retten. Es gab aber auch ungeklärte Todesfälle. Massenhaft wurden neue Arzneimittel aus dem Westen an DDR-Patienten getestet. Das Kapitel deutsch-deutscher Vergangenheit soll nun aufgearbeitet werden.

Das Thema schmerzt auch nach mehr als 20 Jahren: Bis 1990 ließen westdeutsche Pharma-Firmen im großen Stil Medikamente in der DDR testen. Sie bezahlten mit Millionen von D-Mark. Nicht immer wussten die Erkrankten offenbar Bescheid über die Testteilnahme. Und es gab Todesfälle, deren Ursache bislang nicht geklärt werden konnte. Die DDR habe ihre Bürger für Devisen verkauft, lautet ein Vorwurf.

Geschäfte mit der Diktatur

Noch bevor nun dazu das lange erwartete Forschungsprojekt an der Berliner Charité startet, lud der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, am Donnerstagabend in Berlin zu einer Diskussion unter dem Motto "Geschäfte mit der Diktatur". Vertreter von Pharmafirmen hätten die Einladung abschlägig beschieden, hieß es bei der Jahn-Behörde.

Die Berliner Charité wird die Tests nun untersuchen. Das auf zweieinhalb Jahre angelegte Projekt unter Leitung des Medizinhistorikers Volker Hess soll am 15. Juni starten. Das Bundesinnenministerium übernimmt rund 70 Prozent der Finanzierung.

Obwohl das Problem seit 1991 bekannt sei, werde erst jetzt der erste Schritt zur Aufarbeitung getan, sagte Jahn. Diese müsse aber gesamtdeutsch geschehen. Er forderte sowohl Firmen als auch DDR-Mediziner zur Mitarbeit auf. Es gehe nicht darum, Ärzte zu verdammen, die in den Zwängen des DDR-Gesundheitssystems gesteckt hätten. Doch auch die Frage nach der persönlichen Verantwortung stehe im Raum, sagte der frühere DDR-Oppositionelle.

Professor Hess vom Institut für Medizingeschichte der Charité wird mit seinem Team in den nächsten zweieinhalb Jahren Stasi- und Patientenakten sichten, in Archiven der Pharmafirmen suchen, im Bundesarchiv Papiere des DDR-Gesundheitsministerium einsehen und Augenzeugen befragen.

Warum in der DDR? 

"Die Tests waren fester Teil der Devisen-Erwirtschaftung in der DDR", sagte Hess am Donnerstagabend. "In diesem Zusammenhang von Menschenversuchen zu reden, halte ich für völlig überzogen", ergänzte der Experte im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. "Das waren geregelte, normative Versuche, bei denen die Betroffenen einen Benefit erwarten durften." Zwar gebe es auch Hinweise, dass es bei der Aufklärung der Patienten nicht immer korrekt zugegangen ist. "Aber das Problematische daran ist nicht die Arzneimittelforschung per se, sondern die Frage, warum sie in der DDR durchgeführt wurde.

Seit Jahren schon durchforstet der Erlanger Medizinhistoriker Rainer Erices Stasi- und Bundesarchiv-Akten. "Getestet wurde alles - Krebs-, Herz-Kreislauf-, aber auch Depressionsmedikamente oder Mittel zum Schwangerschaftsabbruch", sagt Erices. Allein für die 80er Jahre lägen Angaben zu mehr als 230 Testreihen vor. "1987 liefen 115 Tests parallel", beschreibt er das Ausmaß. Er gehe von 200 beteiligten Einrichtungen aus. "Die Aufarbeitung sind wir den Betroffenen und der Gesellschaft schuldig."

DDR-Ärzte wehren sich gegen die Vorwürfe

Das Muster war laut Erices stets gleich: Die Verträge wurden geschlossen zwischen der westlichen Pharmafirma, der BIEG (Berliner Import- und Export GmbH), die zu Schalck-Golodkowskis geheimen Imperium für Kommerzielle Koordinierung (KoKo) gehörte, und dem staatlichen Beratungsbüro für Arzneimittel (BBA) beim DDR-Gesundheitsministerium. Das Geld habe die BIEG kassiert, während den zunehmend darbenden DDR-Krankenhäusern die West-Medikamente und -Geräte blieben.

Einige Ärzte haben laut Erices deshalb mit den Westfirmen enger zusammengearbeitet - und sich dies bezahlen lassen. "Ich kann die Korruptionsfälle, die der "Spiegel" genannt hat, bestätigen." Viele DDR-Mediziner wehren sich jedoch gegen Vorwürfe - sie seien froh gewesen, dass wirksame Medikamente überhaupt zur Verfügung gestanden hätten und hätten auch umfassend aufgeklärt

Professor Stephan Tanneberger, der in der DDR das Zentralinstitut für Krebsforschung leitete, erklärte am Donnerstag im "Neuen Deutschland", Standards seien streng eingehalten worden. Die Hysterie, mit der das Thema derzeit öffentlich behandelt werde, sei erschreckend.

Auch Charité-Experte Hess hält es deshalb für unerlässlich, bei den Bewertungen des immensen Datenmaterials den Vergleich zu den damals geltenden West-Standards zu ziehen. "Sonst ist es klar, dass wir den Vorwurf ernten, den Kalten Krieg fortsetzen zu wollen." (dpa)