Kampala. Lange galt Uganda als Musterbeispiel in der Aids-Bekämpfung. Die Zahl der Neuinfektionen konnte vor Jahren drastisch gesenkt werden. Aber nun haben die Menschen die Angst verloren. Viele glauben, die Krankheit sei mittlerweile heilbar - und verzichten auf Kondome.
"Ich habe jedes Jahr mindestens drei verschiedene Sexualpartner." Die hochgewachsene Bessie spricht Klartext. Bisher war noch keiner dabei, der ihr einen Heiratsantrag machte - deshalb sucht die Uganderin weiter. Kondome benutzt die 23-Jährige trotz ihres regen Sexuallebens nicht, weil sie allergisch auf Latex reagiert. "Ich bekomme dann Ausschlag am ganzen Körper", sagt sie. Hat sie keine Angst vor Aids? Schließlich war Uganda lange eines der am schlimmsten von der Viruskrankheit betroffenen Länder Afrikas. "Die Kondom-Allergie macht mir mehr Sorgen", erklärt Bessie. "Außerdem bin ich nicht infiziert."
Dieses sorglose und gleichzeitig lebensgefährliche Verhalten ist in dem ostafrikanischen Land mittlerweile weit verbreitet. Aids-Experten machen sich Sorgen, dass alle bisher erzielten Erfolge im Kampf gegen die Epidemie bald zunichte sein könnten. Die Menschen sind zu dem Lebensstil zurückgekehrt, den sie vor dem Auftreten des Virus' hatten: "Ungeschützter Sex ist wieder an der Tagesordnung", teilte die staatliche "Uganda Aids Commission" (UAC) kürzlich mit.
Epideme erreichte in den 1990er-Jahren Höhepunkt
Die Zahlen sprechen für sich: In den 1990er-Jahren erreichte die Epidemie in Uganda ihren Höhepunkt, rund 18 Prozent der Bevölkerung war mit HIV infiziert. Viele starben, weil keine Medikamente erhältlich waren. Durch ehrgeizige und kostenintensive Aufklärungsprogramme der Regierung und internationaler Organisationen konnte die Zahl auf erstaunliche 5 Prozent im Jahr 2000 gesenkt werden. "Abstinenz, Treue und Kondome", lautete die Botschaft. Heute liegt der Anteil der HIV-Positiven wieder bei 7,3 Prozent. 1,4 Millionen Menschen in Uganda tragen das HI-Virus in sich - das sind 200.000 mehr als zur Jahrtausendwende.
Wenn der Trend anhalte, werde es in den nächsten fünf Jahren mehr als 700.000 Neuinfektionen geben, schätzt die UAC. "Jeden Tag kommen mehr Patienten", berichtet auch der Arzt Dickson Wabwire, der das 20 Kilometer östlich von Kampala gelegene Mukono Gesundheitszentrum leitet. Die ganze Einstellung der Leute in puncto Aids habe sich verändert, sagt er. "Ich werde oft gefragt: "Warum soll ich ein Kondom benutzen? Soll ich ohne Kinder sterben?"
Therapie kann lediglich den Ausbruch verhindern
Einer der Hauptgründe für die neue Unbekümmertheit ist der weit verbreitete Irrglaube, dass die antiretroviralen Medikamente auf dem Markt die Immunschwäche-Krankheit heilen können. Die Therapie kann jedoch lediglich den Ausbruch von Aids verhindern - die HIV-Infizierung aber bleibt.
"Heute leben sie trotz der Krankheit lange"
Wie Hunderttausende seiner Landsleute praktiziert auch Patrick Sebutemba schon lange ungeschützten Geschlechtsverkehr. "Ich habe immer Kondome vermieden, weil mir der Sex dann keinen Spaß macht", erzählt der 31-Jährige. Seit 2010 ist er HIV-infiziert. Seine Frau lebt ebenfalls mit dem Virus. Angst hat Sebutemba trotzdem nicht, denn "die Krankheit ist schwächer geworden als in der Vergangenheit". Zudem bekommt er Medikamente. "Früher sind die Leute nach kurzer Zeit an Aids gestorben, aber heute leben sie trotz der Krankheit lange." Einen Grund, Präservative zu benutzen, sieht er deshalb nicht.
Hinzu kommt die völlige Fehlinterpretation einiger Anti-Aids-Kampagnen. So wurden die Männer in Uganda - wie auch in anderen Ländern Afrikas - bereits vor Jahren dazu aufgerufen, sich auch im Erwachsenenalter noch beschneiden zu lassen. Studien hatten ergeben, dass der Eingriff das Risiko einer HIV-Infektion bei Männern leicht mindern kann. Dies heißt aber keinesfalls, dass eine Ansteckung ausgeschlossen werden kann, wenn die Vorhaut fehlt. Außerdem bleibt die Gefahr für Frauen gleich hoch.
Männer haben sich von Kondomen verabschiedet
Viele Männer haben sich jedoch für immer von Kondomen verabschiedet, nachdem sie sich einer Beschneidung unterzogen hatten. Die UAC zitiert einen Jugendlichen mit den Worten: "Wir sind stolz auf unsere Beschneidung, weil wir jetzt kein Aids bekommen und unser Sexleben voll genießen können."
Vom einstigen Vorzeigestaat im Kampf gegen Aids hat sich Uganda innerhalb kurzer Zeit ins Gegenteil verwandelt, betont auch der Direktor von "Unaids" in Uganda, Musa Bungudu. "Früher hat das Land andere Staaten seine Anti-Aids-Programme gelehrt. Heute muss sich Uganda selbst Rat holen, um seine HIV-Projekte besser zu managen." Um dem Leichtsinn ein Ende zu machen, will UAC-Präsident David Kihumuro Apuuri ab sofort unmissverständliche Botschaften verbreiten. Die Medien sollen ihre Worte sorgfältig wählen und den Ugandern ein für alle Mal klar machen: Aids ist nach wie vor unheilbar. (dpa)