Berlin.. Ärzte verschreiben Frauen deutlich mehr Psychopharmaka und Schlafmittel als Männern - und verstärken damit ihr Risiko, abhängig zu werden. Das belegt der Arzneimittelreport 2012. Besonders betroffen sind ältere Frauen.

Frauen bekommen in Deutschland zwei bis drei Mal mehr Psychopharmaka und Schlafmittel als Männer. Das geht aus dem Arzneimittelreport 2012 hervor, den die Barmer GEK am Dienstag in Berlin vorstellte. Aus medizinischer Sicht seien solche Geschlechterunterschiede bei der Arzneimittelversorgung kaum begründbar. Zudem bestehe durch Psychopharmaka und Schlafmittel „ein hohes Abhängigkeitsrisiko“, warnen die Autoren der Studie. Bereits 1,2 Millionen Menschen seien von solchen Mitteln abhängig, zwei Drittel davon ältere Frauen.

Die auffällig häufige Verordnung von Psychopharmaka für Frauen hänge offenbar auch damit zusammen, dass diese eher bereit seien, über ihre psychischen Belastungen zu sprechen als Männer, erklärte der Gesundheitsexperte Gerd Glaeske vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen, das die Studie erstellt hat. Zudem suchten Frauen in diesen Fällen häufiger einen Arzt auf. Allerdings sei das Risiko, bereits „bei Missbefindlichkeiten im Alltag“ Arzneimittel verordnet zu bekommen, relativ hoch.

Liste gefährlicher Wirkstoffe für Frauen gefordert

Als Konsequenz forderte Glaeske neben einer intensiveren Versorgungsforschung eine Negativliste, die Ärzte verlässlich über Wirkstoffe informiert, die bei Frauen „gefährliche Effekte auslösen können“. Eine ähnliche Liste gebe es bereits für potenziell gefährliche Wirkstoffe bei älteren Patienten.

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Der Report untersuchte die Arzneimittelverordnungen für die insgesamt rund 9,1 Millionen Versicherte der größten gesetzlichen Krankenkasse Barmer GEK im Jahr 2011. Während Frauen demnach eher Mittel mit Wirkung auf die Psyche bekommen, erhalten Männern eher solche mit Wirkung auf körperliche Störungen, vor allem des Herz-Kreislauf-Systems. Kritisch hinterfragt werden auch die Antibiotika-Verordnungen der Zahnärzte. Laut Studie entfällt mehr als die Hälfte dieser Verordnungen auf das Mittel Clindamycin, das jedoch mehr als doppelt so teuer und nicht wirksamer sei als Amoxicillin, heißt es.

„Zu viele neue Produkte ohne relevanten Zusatznutzen“

Zwar werden Frauen insgesamt mehr Arzneimittel verordnet, diese sind laut Studie aber im Schnitt preisgünstiger als die Mittel für Männer. Auf 100 Frauen entfallen demnach durchschnittlich 937 Verordnungen im Jahr. Das waren 22,3 Prozent mehr als bei den Männern, die auf 763 Verordnungen je 100 kamen. Bei den Arzneimittelkosten liegen die Geschlechter nicht ganz so weit auseinander. Eine Verordnung für Männer verursachte der Studie zufolge durchschnittliche Ausgaben von 54 Euro, eine Verordnung für Frauen 48 Euro.

Insgesamt fielen bei der Barmer GEK 2011 Arzneimittelausgaben von rund 3,9 Milliarden Euro an. Die frühe Nutzenbewertung sowie direkte Preisverhandlungen für neue Mittel hätten sich bewährt, resümierte Rolf Ulrich Schlenker, Vize-Chef der Barmer GEK. „Die Nutzenbewertung trennt die Spreu vom Weizen.“ Dass von bisher rund 20 Präparaten nur zweien ein beträchtlicher Zusatznutzen für bestimmte Indikationen attestiert worden sei, scheine den Verdacht von Pharma-Kritikern zu bestätigen. Bislang seien „zu viele neue Produkte ohne relevanten Zusatznutzen auf den deutschen Markt gedrückt worden“, kritisierte Schlenker. (afp)