Essen/Berlin. Die Zahl der Syphilis-Infektionen ist in Deutschland sprunghaft angestiegen. Das Robert-Koch-Institut zählte im Jahr 2011 knapp 3700 Fälle - 22 Prozent mehr als noch im Jahr zuvor. Der Anstieg sei “besorgniserregend“, urteilte das RKI. Auch eine weitere Geschlechtskrankheit bereitet Experten Sorge: Wegen zunehmender Resistenzen gegen Antibiotika könnte Tripper unheilbar werden.

Die Zahl der in Deutschland gemeldeten Syphilis-Fälle ist im vergangenen Jahr deutlich gestiegen. 2011 wurden insgesamt 3698 Fälle gemeldet und damit fast 22 Prozent mehr als im Jahr davor, teilte das Robert-Koch-Institut (RKI) am Montag in seinem aktuellen Epidemiologischen Bulletin mit. Die Experten bezeichneten den Trend als "besorgniserregend". Nach einer Periode stagnierender und zuletzt gesunkener Syphilis-Erkrankungen seien die Infektionen nun wieder auf das Niveau von 1986 geklettert.

"Besorgniserregend ist vor allem, dass die Zahl der Infektionen innerhalb eines Jahres um 22 Prozent angestiegen ist", sagt Viviane Bremer, stellvertretende Fachgebietsleiterin Aids und Geschlechtskrankheiten beim RKI. Das sei ein rasanter Anstieg, der sich - soweit bis jetzt erkennbar - offenbar auch im laufenden Jahr fortsetze. Auch in den ersten beiden Monaten dieses Jahres wurden laut RKI bereits höhere Syphiliszahlen gemeldet als in den Vergleichsmonaten des Vorjahres. Die Zahl der Diagnosen könnte daher 2012 erneut steigen.

Männer erkranken deutlich häufiger an Syphilis

Woran die Zunahme der Infektionen liegt, ist nicht belegt. Fest steht den RKI-Daten zufolge: 84 Prozent der Betroffenen sind Männer, die sich beim Sex mit Männern angesteckt haben. Entsprechend erkrankten Männer insgesamt häufiger als Frauen. Bei ihnen stieg zudem die Zahl der Erkrankungen im Vergleich zu 2010 mit 23 Prozent stärker als bei den Frauen mit 13 Prozent.

Ob der starke Anstieg durch ein verändertes Sexualverhalten, also womöglich eine zunehmende Sorglosigkeit verursacht wurde, könne nur durch Verhaltensstudien geklärt werden, konstatieren die RKI-Experten in ihrem Bulletin.

Zahl der Infektionen in NRW über dem Durchschnitt

Die meisten Neuerkrankungen wurden in den Stadtstaaten Berlin (18 Infektionen pro 100.000 Einwohner), Hamburg (13,3) und Bremen (7,9) registriert. Über dem Bundesdurchschnitt von 4,5 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohnern lagen zudem Nordrhein-Westfalen (5,5) und Hessen (4,6). Abgesehen von Berlin und Hamburg wurde die höchste Zahl von Neuerkrankungen in Großstädten wie Köln, Frankfurt am Main und München beobachtet.

Während heterosexuell übertragene Fälle die Ausnahme seien, haben sich in Dortmund seit 2010 ungewöhnlich viele Frauen und heterosexuelle Männer angesteckt. "Die Zahl der Syphilis-Diagnosen bei Frauen stieg in Dortmund von 2 im Jahr 2009 auf 10 im Jahr 2010 und 23 im Jahr 2011 an", heißt es im Epidemiologischen Bulletin. Dass dabei ein Zusammenhang mit Prostitution besteht, liege nahe, sei aber nicht bewiesen.

Tripper droht unheilbar zu werden

Noch eine weitere sexuell übertragbare Krankheit macht Gesundheitsexperten Sorgen: Gonorrhoe, allgemein als Tripper bekannt. Erst Anfang Juni warnten das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) sowie die Weltgesundheitsorganisation WHO davor, dass die Gonorrhö unheilbar werden könnte. Mit europaweit mehr als 32.000 registrierten Fällen im Jahr 2010 sei Tripper nach Chlamydien die zweithäufigste Geschlechtskrankheit, warnt das ECDC. Aus diversen Ländern werden jedoch bereits Antibiotika-Resistenzen gemeldet. Das, warnt die WHO, könne dazu führen, dass weltweit Millionen von Menschen nicht mehr behandelt werden könnten.

Für Tripper gibt es in Deutschland keine verlässlichen Daten, weil Gonnorhö-Infektionen seit der Neuregelung des Infektionsschutzgesetzes 2001 nicht mehr meldepflichtig sind. "Leider", sagt Viviane Bremer. Deutschland sei eines der wenigen Länder in Europa, in denen diese sexuell übertragbare Krankheit nicht statistisch erfasst wird. Das RKI bemühe sich aber, die Datenbasis zu Tripper zu verbessern.

Mehr Aufklärung über Geschlechtskrankheiten

Geschlechtskrankheiten sind zuletzt auch bei der Präventionsarbeit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in den Fokus gerückt. Die neueste "Mach's mit"-Kampagne zielt nicht mehr nur auf den Schutz vor HIV ab, sondern will explizit auch über andere sexuell übertragbare Krankheiten (Sexually Transmitted Infections - STI) informieren. "Sexuell übertragbare Infektionen sind ein bedeutendes Thema für die Aids-Prävention", sagte BZgA-Direktorin Elisabeth Pott im März bei der Vorstellung der Kampagne. "STI steigern das Risiko einer HIV-Infektion um das zwei- bis zehnfache, erhöhen die Infektiosität von Menschen mit HIV und können unbehandelt gravierende gesundheitliche Spätfolgen für die Betroffenen nach sich ziehen", mahnte sie. (shu/afp)