Chicago. Die Gefahr, dass ein Kind am Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom ADHS erkrankt, ist bei Müttern mit geringem Einkommen oder einer Schwangerschaftsdiabetes doppelt so hoch wie sonst, ergab eine Studie in den USA. Kommt beides zusammen, steigt das Risiko sogar aufs 14-fache.
Kinder haben ein 14-fach erhöhtes Risiko für die Aufmerksamkeitsstörung ADHS, wenn sie aus ärmeren Verhältnissen stammen und ihre Mutter unter einem Schwangerschaftsdiabetes litt. Das haben US-amerikanische Forscher in einer mehrjährigen Studie an 212 Kindern herausgefunden. Einzeln führe ein Schwangerschaftsdiabetes der Mutter oder das Aufwachsen in Familien mit geringem Einkommen nur zu einer Verdopplung des Risikos.
Träfen sie jedoch zusammen, potenziere dies die Wahrscheinlichkeit, dass ein sechsjähriges Kind die für die Aufmerksamkeitsstörung typischen Defizite in der Entwicklung seiner geistigen Leistungen und seines Verhaltens zeige, berichten die Wissenschaftler im Fachmagazin "Archives of Pediatrics and Adolescent Medicine". (doi:10.1001/archpediatrics.2011.784) "Unseres Wissens nach ist dies die erste Studie, die untersucht, wie sich die Kombination von niedrigem sozioökonomischen Status und die vorgeburtliche Erfahrung des Schwangerschaftsdiabetes auf die Entwicklung von ADHS auswirken", sagt Erstautor Yoko Nomura vom Queens College in New York.
Kinder aus ärmeren Familien wiesen deutliche Defizite auf
In der Studie hatten die Forscher dreijährige Kinder aus Familien mit niedrigem und höherem Einkommen über drei Jahre hinweg in ihrer Entwicklung verfolgt. Über Befragungen und Tests ermittelten sie sowohl den Gesundheitszustand der Mutter während der Schwangerschaft als auch die psychische Entwicklung der Kinder. Wie die Wissenschaftler berichten, zeigten die Kinder aus ärmeren Verhältnissen, deren Mutter während der Schwangerschaft Diabetes bekam, mit sechs Jahren deutliche Defizite: Sie hatten einen niedrigeren Intelligenzquotienten, ihre sprachlichen Fähigkeiten waren geringer und ihr Verhalten und ihre emotionalen Reaktionen wichen von denen sich normal entwickelnder Kinder ab.
Chance für Vorbeugung und frühere Behandlung
Nach Ansicht der Forscher könnte das Wissen um diese Risikofaktoren dazu beitragen, schon früher als bisher vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen, um einen Ausbruch der Störung zu vermeiden. So könnte man durch entsprechende Ernährung einem Schwangerschaftsdiabetes entgegenwirken und besonders gefährdete Kinder schon früh intensiver betreuen. "Solche Umweltfaktoren bei ADHS sind von entscheidender Bedeutung, weil sie die Tür öffnen zu Möglichkeiten, die Fälle von ADHS zu verhindern, die durch frühe Störungen des kindlichen Nervensystems entstehen", schreibt Joel Nigg von der Oregon Health and Science University in Portland in einem begleitenden Kommentar.
Gene und Umwelt sind Auslöser für ADHS
Kinder, die an der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) leiden, sind meist hyperaktiv und haben Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts sind in Deutschland rund 3,9 Prozent der Schulkinder von dieser Störung betroffen. Nach bisheriger Kenntnis spielen neben einer genetischen Veranlagung auch vorgeburtliche Einflüsse sowie psychosoziale Faktoren eine Rolle für den Ausbruch der ADHS. Von den 212 Kindern, die an der Studie teilnahmen, kamen 115 aus ärmeren Verhältnissen und ein Teil ihrer Mütter bekam während der Schwangerschaft einen Diabetes.
"Die Häufigkeit dieses Diabetes hat in den letzten 20 Jahren zugenommen, vor allem unter ethnischen Minderheiten und bei Frauen mit niedrigem sozioökonomische Status", schreiben die Forscher. Daher habe man untersucht, welche Folgen diese Erkrankung auf die spätere psychosoziale Entwicklung des ungeborenen Kindes haben könne. 97 Kinder aus Familien mit gutem Einkommen und gesunden Müttern dienten den Wissenschaftlern als Kontrollgruppe. Alle Kinder wurden im Alter drei, vier und sechs Jahren gründlich psychologisch und medizinisch untersucht und absolvierten Standardtests für ADHS. (dapd)