Berlin.. Schmerzmittel sollen künftig nur noch in kleinen Packungen rezeptfrei an Patienten ausgegeben werden, fordert Walter Schwerdtfeger, Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Größere Packungen sollten rezeptpflichtig werden. So will er verhindern, dass Schmerzmittel missbraucht werden.

Rezeptfreie Schmerzmittel sollen aus Sicht von ­Medizinexperten nur noch in kleineren Mengen erhältlich sein. Die Packungen sollten „so groß sein, dass das Schmerzmittel für drei bis vier Tage reicht“, sagte der Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizin­produkte (BfArM), Walter Schwerdtfeger, der WAZ. „Größere Packungen sollten rezeptpflichtig sein.“

Der Grund dafür ist, dass zu viel Schmerzmittel die ­Gesundheit gefährden und bis zum Tod führen können. Bei Aspirin, Ibuprofen oder Diclofenac bekämen einige Betroffene Magenblutungen, warnte Schwerdtfeger.

„Bei Paracetamol treten vor allem Leberschäden auf.“ Jährlich würden sich rund 4000 Menschen mit Paracetamol vergiften. Davon dürfen Apotheker schon heute maximal zehn Gramm rezeptfrei verkaufen. Schwerdtfeger hält diese Menge für vernünftig. Der Pharmakologe Ulrich Schwabe dagegen würde noch kleinere Paracetamol-Packungen begrüßen. „Denn schon zehn Gramm auf einmal sind eine tödliche Dosis für ­Erwachsene“, sagte Schwabe der WAZ.

Pharmaindustrie gegen die Umstellung

2010 wurden in Deutschland 117 Millionen Packungen Schmerzmittel verkauft, 80 Prozent davon rezeptfrei, sagte Schwerdtfeger. Von ­kleineren Verpackungen verspricht er sich, „dass sich der Konsument so seiner Verantwortung für sich selbst bewusst wird“. Das könnte „ein Signal für Verbraucher sein, dass diese Arzneimittel keine Zuckerpillen sind“, so die ­Präsidentin der Deutschen Schmerzliga, Dominique Döttling.

Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) sieht keine Notwendigkeit für kleinere Packungs­größen. Eine Umstellung wäre „relativ sinnlos“, sagte ein Sprecher. „Wenn sich jemand ein Leid antun will, dann geht er notfalls in zehn Apotheken, um Schmerzmittel zu kaufen.“ Wichtig sei Aufklärung zum Einsatz der Tabletten.

Im Frühjahr will der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht beim BfArM dem Gesundheits­ministerium eine Empfehlung zu den Verpackungsgrößen ­geben. Es ist der zweite Anlauf. Iim September hatte das Gremium aus Pharmavertretern und Ärzten einen entsprechenden Antrag abgelehnt.

Leberschaden, rezeptfrei

Sie sind rezeptfrei, aber nicht harmlos. Schmerztabletten können zu Magenblutungen, Leberschäden und sogar zum Tode führen. Der Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, Walter Schwerdt­feger, fordert im Interview mit dieser Zeitung kleinere ­Verpackungsgrößen für Aspirin und Co.

Nehmen die Bürger in Deutschland zu oft und  zu sorglos rezeptfreie Schmerzmittel?

Walter Schwerdt­feger: Davon ist auszugehen. Nicht jeder weiß, wie groß die Risiken bei rezept­freien Medikamenten sind. Man beachte die Menge: 2010 wurden in Deutschland 117 Millionen Packungen Schmerzmittel mit einem Marktvolumen von 572 ­Millionen Euro verkauft, 80 Prozent davon rezeptfrei.

Was passiert, wenn man zu viele Schmerztabletten schluckt?

Walter Schwerdt­feger: Das kann viele Folgen ­haben. Einige Betroffene ­bekommen Magenblutungen, vor allem von Aspirin, aber auch von Ibuprofen oder ­Diclofenac. Bei Paracetamol treten vor allem Leberschäden auf. Das kann bei entsprechender Empfindlichkeit schon dann passieren, wenn man die vorgegebene Tagesdosis nur um das Doppelte über­schreitet.

Können Schmerzmittel süchtig machen?

Walter Schwerdt­feger: Ja, und zwar insofern, als sich eine Toleranz einstellt. ­Irgendwann tritt bei einem häufiger auftretenden Schmerz dann nur noch kurzfristig Linderung ein. Wenn er wiederkommt, muss man mehr Tabletten nehmen. Das kann auf Dauer dazu führen, dass ein gelegentlicher Kopfschmerz chronisch wird.

Wie viele durch Schmerz­mittel Vergiftete oder ­Getötete gibt es jedes Jahr?

Walter Schwerdt­feger: Dazu fehlen uns verlässliche Zahlen. Wir wissen aber, dass sich jährlich rund 4000 Menschen in Deutschland mit ­Paracetamol vergiften. Selten mit Todesfolge. Wir bemühen uns zurzeit um die aktuellen Zahlen der Giftnotrufzentralen und weitere Daten, die eine zahlenmäßige Einschätzung ermöglichen können.

Wenn Schmerzmittel so ­gefährlich sein können, ­sollte man sie dann nicht ­alle unter Rezeptpflicht ­stellen?

Walter Schwerdt­feger: Das wäre sehr konsequent, ist aber nicht unbedingt nötig. In vielen Fällen verschwinden z. B. Kopfschmerzen nach ­kurzer Zeit von selbst. Mit den Tabletten kann man sie bis ­dahin erträglich halten. Es ­wäre übertrieben, die Betrof­fenen dann zu einem Arzt­besuch zu zwingen, um ein ­Rezept zu erhalten. Die ­Packungen sollten aber nur so groß sein, dass das Schmerzmittel für drei bis vier Tage reicht. Dann gibt es in aller ­Regel auch keinen Schaden. Größere Packungen sollten ­rezeptpflichtig sein.

Was erhoffen Sie sich von kleineren Packungen?

Walter Schwerdt­feger: Ich verspreche mir, dass sich der Konsument so seiner Verantwortung für sich selbst ­bewusst wird. Wenn er große Packungen rezeptfrei kaufen kann, geht er doch davon aus, dass das Präparat unschädlich ist. Anders ist es, wenn er in der Apotheke nur eine kleine Packung bekommt oder ein Rezept vorlegen muss. Und wer schon größere Packungen gekauft hat und sie in Zukunft nicht mehr erhält, wird in der Apotheke nach dem Grund dafür fragen und über das ­Risiko informiert werden.

Für Paracetamol gibt es bereits kleinere Verpackungsgrößen. Sollte man diese noch einmal verkleinern?

Walter Schwerdt­feger: Die jetzige Größe ist vernünftig. Sie enthält etwa die dreifache Tagesdosis und ich gehe nicht davon aus, dass die meisten Menschen alle Tabletten an einem Tag einnehmen. Man muss auch einen prak­tikablen Weg finden. Es macht keinen Sinn, den Leuten nur einzelne Tagesdosen anzu­bieten oder sie ständig zu zwingen, zum Arzt zu gehen.

Was bringt das aber, wenn man in der nächsten Apotheke eine zweite kleinere Packung kaufen kann?

Walter Schwerdt­feger: Der Unterschied ist: Man weiß dann, dass man riskant handelt. Auch mit behörd­lichen Vorgaben kann man die Leute nicht zwingen, sich vor sich selbst zu schützen.

Könnten kleinere Packungen die Selbstmordraten durch ­Tabletten senken?

Walter Schwerdt­feger: Gut möglich. Suizidver­suche entstehen oft im Affekt. Dann kommt es darauf an, was man zur Verfügung hat, etwa, wie viele Schmerzmittel man gerade im Haus hat. Aber um es klar zu sagen: Wer einen Selbstmord tatsächlich plant, den wird auch die Notwendigkeit mehrerer Apotheken­besuche nicht davon abhalten können.