Berlin. Vor 40 Jahren wurde die Organisation “Ärzte ohne Grenzen“ gegründet - und leistet seitdem Notfallhilfe in vielen Ländern. In Südostasien waren sie nach dem Tsunami 2004 im Einsatz, in Afghanistan und Nigeria waren und sind sie unterwegs.

Den "Ärzten ohne Grenzen" (MSF) sagt man nach, sie nähmen kein Blatt vor den Mund. Damit macht sich die inzwischen 40 Jahre alte Organisation nicht nur Freunde. Nach dem Tsunami Ende 2004 in Südostasien zum Beispiel: MSF erklärte einige Tage später, man wolle keine Spenden mehr für die Region. Dafür gab es heftige Kritik anderer Hilfswerke. "Ich halte die Entscheidung immer noch für richtig", sagt Ulrike von Pilar, damals Geschäftsführerin der deutschen Sektion. "Das war eine komplett überfinanzierte Katastrophe."

Denn Ärzte ohne Grenzen leisteten Notfallhilfe und keinen Wiederaufbau, betont sie. Es sei ein Irrtum, nach einem Ereignis wie in Südostasien oder einem Erdbeben wie in Haiti 2010 zu glauben: "Wenn wir zehn Millionen mehr einnehmen, können wir auch Millionen mehr Menschen retten." Das Geld sei dann sinnvoller dort eingesetzt, wo es keine Medienaufmerksamkeit gebe.

40 Jahre "Ärzte ohne Grenzen"

Die Gründungsmitglieder der Organisation 1971. (Foto: dapd)
Die Gründungsmitglieder der Organisation 1971. (Foto: dapd)

Der Maulkorb, den viele Hilfsorganisationen ihren Mitarbeitern verpassten, war Anlass für die Gründung von "Ärzte ohne Grenzen" ("Médecins Sans Frontières" - MSF) am 21. Dezember 1971. Eine Gruppe junger französischer Ärzte war verärgert über die Politik der Nichteinmischung des Roten Kreuzes im Biafra-Krieg - dem Konflikt zwischen Nigeria und dem nach Unabhängigkeit strebenden Gebiet Biafra Ende der 60er Jahre. Die nigerianische Regierung verhängte eine Blockade über Biafra, was dort zu einer schrecklichen Hungersnot führte. Die Ärzte sahen darin einen Völkermord und wollten Partei ergreifen - was das Neutralitätsprinzip des Roten Kreuzes ihnen aber verbot. Also gründeten sie ihre eigene Organisation.

Aber nur selten, so hat sich gezeigt, lassen sich gut und böse eindeutig unterscheiden. Im Fall von Biafra, gestand MSF später ein, habe man sich vereinnahmen lassen. Es habe zwar Hunger und Tod gegeben, aber keinen Völkermord. Seitdem setzt sich die Organisation ständig mit der Frage auseinander, wie sie möglichst effizient helfen kann und zugleich nicht auf die Propaganda der einen oder anderen Gruppe hereinfällt.

Es geht um Menschenleben

"Die Probleme haben sich eigentlich nicht geändert", sagt Ulrike von Pilar. "Selbst wenn wir verstanden haben, dass wir manipuliert werden, stellt sich die Frage: Was tun wir dann?" Denn es geht letztlich immer um Menschenleben. In Afghanistan ist die Organisation geblieben, auch wenn sie sich mehrfach dagegen verwahrt hat, als Teil einer militärischen Strategie missbraucht zu werden. Aus Nordkorea ist MSF abgezogen, weil die Regierung den Zugang zu besonders stark von Hunger betroffenen Gebieten verweigert hat. Es sind immer Entscheidungen im Einzelfall.

Sich engagieren, aber nicht auf Propaganda hereinfallen - manchmal eine Gratwanderung. (Foto: dapd)
Sich engagieren, aber nicht auf Propaganda hereinfallen - manchmal eine Gratwanderung. (Foto: dapd)

Im Unterschied zu 1971 sei die Organisation neutraler geworden, meint von Pilar, die 1993 die deutsche MSF-Sektion mitgegründet hat. "Wir sind vorsichtiger, um uns in den politischen Verhältnissen nicht zu verirren." Eine Leitlinie sei: "Lässt man uns zu den schwersten Fällen?" Außerdem werde heute stärker medizinisch argumentiert, "wir haben uns remedikalisiert."

Auch sind die Projekte langfristiger geworden. Von Pilar verweist auf das MSF-Engagement für die Behandlung von HIV/Aids und die Medikamentenkampagne, die mit dem Geld vom Friedensnobelpreis gestartet wurde: 1999 erhielt die Hilfsorganisation diese Auszeichnung. Dabei geht es unter anderem um den Zugang zu erschwinglichen Medikamenten für alle und die Entwicklung neuer Arzneimittel beziehungsweise Impfstoffe gegen Krankheiten, die vor allem Menschen in der Dritten Welt betreffen.

Keine Konkurrenz unter den Organisationen

Konkurrenz zu anderen Organisationen verspüren "Ärzte ohne Grenzen" weniger. "Wir konkurrieren nicht um staatliche Gelder", sagt von Pilar - MSF akzeptiert nur ganz wenig Zuschüsse von staatlicher Seite und finanziert die Arbeit überwiegend mit Privatspenden. Vor Ort teile man sich die Arbeit in der Regel gut auf, erklärt sie, kritisiert allerdings auch Organisationen, die unerfahren und für manche Einsätze ungeeignet seien und dort im Weg stünden.

Den Unterschied zu anderen Hilfswerken sieht sie vor allem im medizinischen Schwerpunkt. "Ärzte ohne Grenzen" betreiben inzwischen auch viel eigene Forschung, zum Beispiel in Bezug auf Aids oder Cholera. Da gebe es wenige, die das auch machten. "Ich kenne auch kaum andere Organisationen, die über Jahrzehnte versucht haben, einen so selbstkritischen Blick zu behalten", betont sie. (dapd)