Bonn/Berlin.. Haarausfall bei Frauen ist mehr als ein medizinisches Problem. Frauen leiden noch viel mehr als Männer, wenn das Haupthaar schwindet, viele ziehen sich zurück und meiden den Kontakt mit anderen. Eine rechtzeitige Diagnose verbessert die Heilungschancen.

Haarausfall ist mehr als ein ästhetisches Problem. Gerade für Frauen kann der Leidensdruck sehr groß werden, wenn Tag für Tag Hunderte Haare im Abfluss liegen. „Besonders für Frauen sind Haare ein Ausdruck der Persönlichkeit und ein zentraler Schlüsselreiz für den ersten Eindruck“, sagt der Bonner Psychologieprofessor Reinhold Bergler. Die Haare seien oftmals entscheidend für Sympathie und Antipathie und Frauen wüssten um diese Bedeutung. „Ist eine Frau mit ihren Haaren unzufrieden, resultieren daraus Angst vor Ablehnung und große Unsicherheit“, sagt Bergler.

Viele Frauen mit Haarausfall ziehen sich darum immer mehr aus dem Leben zurück und das endete nicht selten in sozialer Isolation. Denn der Gang zum Dermatologen ist für viele nicht selbstverständlich. „Bis die Betroffenen zu einem Arzt gehen, haben sie oft einen langen Weg von Versuch und Irrtum hinter sich“, sagt Bergler. Viele versuchen das Problem mit Kosmetika, Ernährungsumstellung oder Vitaminpräparaten auf eigene Faust in den Griff zu bekommen.

Hormonumstellung lässt Haare schwinden

„Entscheidend für die Behandlung des Haarausfalls ist aber erst mal die exakte Diagnose“, sagt Andreas Finner, Facharzt für Hautkrankheiten aus Berlin. Erst wenn die Diagnose stehe, könne mit einer individuellen Therapie begonnen werden. „Die drei häufigsten Arten von Haarausfall bei Frauen sind der diffuse Haarausfall, der anlage- oder erblich bedingte Haarausfall und der kreisrunde Haarausfall“, sagt Finner. Die meisten Frauen werden durch die Hormonumstellung nach der Menopause erstmals mit dem Problem konfrontiert. Die zweite große Gruppe seien Frauen um die 30 nach der Geburt eines Kindes.

Der erblich oder anlagebedingte Haarausfall werde am effektivsten mit einer zweiprozentigen Minoxidil-Lösung behandelt, die es rezeptfrei in der Apotheke gebe. Die Tropfen müssen ein- bis zweimal am Tag aufgesprüht werden. „Diese Behandlung muss in den Alltag integriert werden und das kann etwas mühsam sein“, sagt Finner. „Aber bei vielen Patientinnen können wir mit dieser Therapie den Haarausfall stoppen.“ Bei einem Drittel der Patientinnen sei sogar eine Verbesserung zu beobachten und die Haare würden wieder dicker. Allerdings wirke das Therapeutikum nur so lange, wie es regelmäßig angewendet werde. Es sei also eine dauerhafte Therapie nötig, die auch durch eine Haartransplantation ergänzt werden könne.

Der kreisrunde Haarausfall (Alopecia areata) ist ein fleckenförmiger Haarausfall meist auf dem Kopf und kann in jedem Lebensalter auftreten. Als Ursache für die kahlen Stellen nehmen Experten eine Autoimmunkrankheit an, die sich gegen die Haarwurzeln richtet. Eine standardisierte Therapie gebe es deswegen auch noch nicht. Ist der kreisrunde Haarausfall noch nicht sehr stark ausgeprägt, könne in manchen Fällen eine kortisonhaltige Lösung helfen. Wer kahle Stellen auf dem Kopf oder auch im Bart oder den Wimpern feststelle, sollte auf jeden Fall zu einem Facharzt gehen, sagt Finner.

Vielfältige Ursachen

Bei diffusem Haarausfall, bei dem die Haare auf dem gesamten Kopf ohne erkennbares Muster ausfallen, liegt in den meisten Fällen eine spezifische Ursache zugrunde - aber diese ist oft nicht leicht zu finden. „Das können Diäten, Stress, Hormonumstellung und fiebrige Infekte ebenso sein wie eine Fehlfunktion der Schilddrüse, Reaktionen auf Medikamente oder Eisenmangel“, sagt Finner. „Wir behandeln diffusen Haarausfall mit Kapseln von Cystin und B-Vitaminen, aber es muss möglichst die Ursache gefunden und beseitigt werden, um einen dauerhaften Therapieerfolg zu haben.“

„Die Ursache für den diffusen Haarausfall kann bis zu drei Monate zurückliegen“, sagt Finner. Denn so lange dauere die Ruhephase eines Haares, die sich mit der Wachstumsphase abwechselt. Nach dieser Ruhephase fallen viele Haare dann gleichzeitig aus. In einer sogenannten Haarsprechstunde dauerten die Befragung, Untersuchung und Erläuterung der Behandlung deshalb mindestens 30 Minuten, um Zeit für einen Rückblick auf die vergangenen Monate zu haben. Außerdem müsse geklärt werden, welche Erwartungen die Patientin an die Therapie habe.

Die Erwartungen und Befürchtungen der Patientinnen sind auch für den Psychologen Bergler ein entscheidender Faktor. „Die Dermatologen müssen differenzierter auf die Befindlichkeiten der Frauen eingehen“, sagt Bergler, denn Haarausfall sei mehr als nur ein medizinischer Befund. Oft sei der Leidensdruck sogar viel größer als das eigentliche medizinische Problem, denn jeder noch so kleine Misserfolg im Alltag werde auf die Haare zurückgeführt. „Die Ärzte müssen wissen, dass die Frauen beispielsweise Angst haben, aufgrund ihrer Haare verlassen oder abgelehnt zu werden, und dass sie mit ihrem Leiden auch in ihrem privaten Umfeld oft auf Unverständnis stoßen“, sagt Bergler.

Von Haarausfall wird dann gesprochen, wenn täglich 100 Haare verloren gehen. „Aber auch diese Zahl ist nicht in Stein gemeißelt“ sagt Finner. Wenn über Wochen mehr Haar ausfallen als sonst, sollte die Ursache abgeklärt werden. Er rate den Patientinnen aber davon ab, die ausgegangenen Haare zu sammeln und zu zählen: Das verstärke nur die Panik.

Frauen seien von Haarausfall ohnehin emotional viel stärker betroffen als Männer. Besonders belastend seien das Gefühl, den Haarverlust nicht kontrollieren zu können, und die Angst vor der Glatze. Damit erklären Finner und Bergler auch die Tatsache, dass rund 70 Prozent Frauen in die Haarsprechstunden kommen, obwohl insgesamt deutlich mehr Männer von dem Problem betroffen sind. Grundsätzlich machen die Experten den Betroffenen Mut: Die Behandlung von diffusem Haarausfall, der bei Frauen am häufigsten auftrete, sei meist erfolgreich. „Man muss wissen, dass diffuser Haarausfall sehr selten chronisch ist“, sagt Finner. Deshalb gelte: Ruhe bewahren und rechtzeitig zum Spezialisten gehen. (dapd)