Essen. .
Es ist ein Geschäft mit der Hoffnung. Und es läuft gut. Immer mehr dubiose Kliniken bieten ungeprüfte Therapien mit körpereigenen Stammzellen an und versprechen, was kein seriöser Arzt versprechen kann: Heilung unheilbarer Krankheiten.
Das endet zum Teil mit schweren Komplikationen oder sogar mit dem Tod. Im letzten Jahr starb ein zweijähriger Junge aus Italien, dem die umstrittene Düsseldorfer X-Cell-Klinik Stammzellen ins Gehirn injiziert hatte. Wenige Monate zuvor kam es bei der Behandlung eines neunjährigen Kindes zu Hirnblutungen.
Auf rechtlichem Wege ist diesen Kliniken in Deutschland das Handwerk nicht zu legen. Auf der Internationalen Tagung des Kompetenznetzwerks Stammzellforschung NRW mit 500 Forschern aus aller Welt diskutierten gestern in Essen die Experten über Auswege aus der Misere.
Studien und Tests fehlen
An Stammzellen knüpfen auch seriöse Wissenschaftler große Hoffnungen. Mit ihrer Hilfe könnten in Zukunft Parkinson, Alzheimer, Herzinfarkt, Querschnittslähmung, Diabetes und viele weitere Leiden behandelt werden. Doch bisher gibt es außer einzelnen experimentellen Erfolgen nur ein sehr begrenztes Einsatzfeld. Klinischer Standard ist nur die Transplantation blutbildender Zellen bei Leukämie oder der Einsatz von Hautzellen bei Verbrennungen. Für die allermeisten anderen Therapien fehlen wissenschaftliche Studien und klinische Tests. Meist wurden die Methoden noch nicht einmal am Tiermodell erprobt. Dennoch wächst der Markt.
Von Alzheimer bis Erektionsstörungen
Wer „Stammzelltherapie“ in einer Internetsuchmaschine eingibt, erhält hunderttausende Treffer. Darunter einige wenige geprüfte Informationen, das meiste ist Werbung. Weltweit bieten fragwürdige Ärzte Stammzelltherapien an, etwa für Alzheimer, Arthrose, Herzinfarkt, Parkinson, sogar für Inkontinenz oder Erektionsstörungen. Es finden sich sogar Ärzte, die „Bodyforming“ und Brustvergrößerung per Stammzelltherapie feilbieten.
Auch in NRW arbeiten Kliniken mit Zelltherapien. Etwa 4000 Patienten habe X-Cell bereits behandelt, die Kosten betragen zwischen 9000 und 18 000 Euro. Den Patienten wird Knochenmark aus der Hüfte entnommen, daraus werden Stammzellen isoliert und in das geschädigte Gewebe gespritzt. Die Risiken sind nach Angaben der Klinik gering. Bei einem Schlaganfall oder Rückenmarkverletzungen werden die Zellen hingegen intravenös verabreicht, beschreibt X-Cell.
Wissenschaftler warnen
Die Wissenschaftler können davor nur warnen. Prof. Dirk Hermann, Neurologe am Uniklinikum Essen: „Wir wissen zwar viel über Stammzellen, doch wenig darüber, wie sie sich im Körper verhalten.“ Die Gefahr des unkontrollierten Zellwachstums, also der Tumorbildung, ist nach Ansicht von Experten groß. Hermann: „Es gibt große Risiken, weitere Forschungen sind vor einem klinischen Einsatz unbedingt nötig. Vor allem, weil es einen großen Bedarf für diese Therapien gibt.“
Firmen wie X-Cell operieren in einer rechtlichen Grauzone. „Die Therapiefreiheit ist in Deutschland ein hohes Gut“, sagt Prof. Rainer Seitz vom Paul Ehrlich Institut (PEI). „Doch manche nutzen das aus.“ Zwar ist das PEI zuständig für die Zulassung von Arzneimitteln, doch „in die medizinische Anwendung mischen sich die Behörden nicht ein“, so Seitz.
Kein Verbot
Im Klartext: Es gibt kein Verbot, Stammzellen aus dem eigenen Körper einzusetzen, auch wenn es faktisch ein Experiment mit ungewissem Ausgang ist. Erst voraussichtlich ab 2013 benötigen Unternehmen wie X-Cell eine Zulassung der Europäischen Arzneimittelagentur. Mindestens so lange noch floriert das Geschäft mit der Hoffnung.