Würselen. . Pflege und Betreuung von Demenzkranken kann Angehörige stark belasten. Damit sie sich auch mal frei nehmen können, hat eine Krankenkasse in Aachen jetzt eine Nachbarschaftshilfe eingerichtet.
„Ich bin manchmal ein bisschen vergesslich.“ Das gibt Johanna Berwing zu, und mit 84 Jahren ist das schließlich auch keine Schande. Dass sie dennoch allein in ihrer Wohnung lebt, das verdankt sie auch einem Modellprojekt der AOK-Rheinland/Hamburg. Die Krankenkasse testet in der Region Aachen die „Nachbarschaftshilfe“. Nicht nur Tochter Rosemarie Sauer (48) schaut regelmäßig nach Johanna Berwing und unterstützt ihre Mutter, auch Nachbarin Irene Mertens (47) sieht bei der alten Dame nach dem Rechten.
„Es ist ein gutes Gefühl, zu wissen, dass sich jemand um meine Mutter kümmert, während ich andere Dinge erledige“, sagt Rosemarie Sauer. Denn ganz alleine leben, das kann Johanna Berwing dann doch nicht mehr. Sie ist „in ihrer Alltagskompetenz eingeschränkt“. So lautet die offizielle Diagnose, bestätigt vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen.
Damit ist Johanna Berwing zwar noch lange kein Pflegefall, braucht aber doch Unterstützung. Tochter Rosemarie geht jedoch an drei Tagen in der Woche arbeiten. Ein Problem, wie es in vielen Familien alltäglich ist, wenn Eltern oder andere demenzkranke Angehörige gepflegt werden müssen. Da setzt die Nachbarschaftshilfe ein, will den Angehörigen Freiraum verschaffen.
Kurse vermitteln Basiswissen
Irene Mertens ermöglicht Rosemarie Sauer diese Freiräume. Regelmäßig besucht die Nachbarin die alte Frau, unterhält sie, beschäftigt sie und hört ihr zu. Dafür erhält sie acht bis zehn Euro in der Stunde, maximal jedoch 100 Euro im Monat, bezahlt von der Pflegeversicherung. Vorher wurde sie von der AOK geschult, damit sie weiß, wie sie mit Demenzpatienten umgehen soll. Dabei gehe es jedoch nicht um die Pflege, stellt Projektleiterin Andrea Breuer-Brosda klar. „In den Kursen vermitteln wir ein Basiswissen, was genau Demenz eigentlich ist und erklären, wie Helfer in Krisensituationen reagieren sollen.“
Mit Erfolg. Alle Beteiligten fühlen sich als Gewinner. Irene Mertens und Johanna Berwing genießen ihre gemeinsamen Stunden. Irene Mertens hat sich verpflichtet, in bestimmten Abständen einzuspringen. „Diese Regelmäßigkeit sei auch für die Patienten wichtig“, sagt Andrea Breuer-Brosda. Allerdings kommen Johanna Berwing und Irene Mertens mit acht bis zehn Stunden schon lange nicht mehr aus. Die beiden Frauen verstehen sich inzwischen so gut, dass sie sich beinahe täglich sehen. Johanna Berwing vertraut der jüngeren Frau, ruft an, wenn es Probleme gibt und hat sogar einen Schlüssel zur Wohnung der Nachbarin.
Beruhigt in den Urlaub
Musste Irene Mertens lange überlegen, als Rosemarie Sauer sie bat, hin und wieder auf ihre Mutter zu achten? „Ich habe mich gefreut, dass ich gefragt wurde, habe darüber geschlafen und zugesagt.“
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Dass die Helfer im Rahmen des Programms Nachbarschaftshilfe eine Aufwandsentschädigung bekommen, hält Andrea Breuer-Brosda für wichtig: „Sie zeigt die Wertschätzung für die Hilfe, macht es für die Betroffenen aber auch einfacher, um Hilfe zu bitten.“ Rosemarie Sauer mag auf die Unterstützung nicht mehr verzichten. „Im Dezember waren wir eine Woche im Urlaub, und ich bin ganz beruhigt gefahren, weil ich wusste, Irene ist da.“
65 Patienten haben sich in der Region Aachen an dem AOK-Projekt beteiligt, 49 davon hat Andrea Breuer-Brosda betreut. „In der gesamten Zeit, gab es nur einen Wechsel der Betreuungsperson.“ Weil das Projekt auch intern als Erfolg gewertet wird, will die AOK Rheinland/Hamburg es nun für alle Versicherten anbieten. „Erste Informationen erhalten die Versicherten in den jeweiligen Regionaldirektionen“, erklärt Ulrich Pannen, der Leiter des Geschäftsbereichs Pflege.