Berlin. .
Knorpel, die die Knochen schützen, nutzen sich im Laufe des Lebens ab. Arthrose droht. Jetzt forschen Wissenschaftler aus fünf Ländern an Knochenimplantaten, die das Knorpelwachstum anregen sollen.
Fast jeder dritte Erwachsene in Deutschland leidet an einem fortschreitenden Verschleiß seiner Gelenke, der Arthrose. Gewöhnlich wird die Krankheit mit Schmerzmitteln gelindert, denn lange galt das Leiden als nicht heilbar. Schuld daran ist das Knorpelgewebe, das sich gerade in den Gelenken im Laufe des Lebens abnutzt und zerstört wird. Während Knochengewebe eine erstaunliche Regenerationskraft besitzt, erneuert sich Knorpel - die Stoßdämpfer der Gelenke - im Körper kaum. Der künstliche Gelenkersatz mit Prothesen bleibt oft die letzte Rettung. Über zwei Millionen Menschen in Deutschland haben nach Angaben der Deutschen Arthrose-Hilfe ein künstliches Gelenk.
Erst der Mitte der 1990er Jahre wurde eine Technik entwickelt, um lokale Knorpeldefekte durch Nachzüchtung von Gewebe im Labor zu kurieren. Pro Jahr werden in Deutschland nach Angaben des Bundesforschungsministeriums mittlerweile etwa 2.000 Betroffene nach dieser Methode behandelt. Für die Hunderttausende von Patienten, die zum Beispiel am Knie unter Gelenkverschleiß leiden, ist das Verfahren dem Ministerium zufolge noch nicht geeignet. Außerdem ist es sehr aufwändig und teuer. Unklar ist bislang auch, wie die Implantate auf jahrelange Belastung reagieren und wie gut sie sich in die betroffenen Gelenke einfügen.
Aufbau der Knorpel durch den Körper selbst
Eine Forschergruppe aus Italien, Frankreich, England, Deutschland und Schweiz ist jetzt einen großen Schritt weitergekommen. Sie haben ein Implantat entwickelt, das im Gelenk die körpereigene Knorpelbildung wieder anregen soll und dabei aktiv mit dem darunter befindlichen Knochen verwächst. „Zwar gibt es schon Produkte auf dem Markt, die im Körper selbst den Knorpelaufbau übernehmen“, sagt Professor Frank A. Müller, Werkstoffwissenschaftler der Friedrich-Schiller-Universität Jena. „Keines davon verbindet sich aber aktiv mit dem Knochen. Genau da liegt die Verbesserung unseres Implantats.“ Gedacht ist das neue Produkt vor allem für frühe Stadien der Krankheit und an Stellen mit geringem Knorpelschwund.
Das etwa einen Zentimeter große Zellulose-Implantat ist wie ein Schwamm und verfügt über zwei unterschiedliche Oberflächen. „Aktiviert wird der künstliche Knorpel mit Kalziumphosphat-Nanopartikeln an der Unterseite des Implantats“, sagt Müller. „Ein anderes Forschungsteam aus dem englischen Brighton Kollegen trägt auf der entgegengesetzten, porösen Oberfläche des Implantats Wachstumsfaktoren auf, die die Bildung und das Einwaschen von Knorpelzellen anregen.“
Projekt wird von der EU gefördert
Die benötigten porösen Oberflächen können die Jenaer Werkstoffwissenschaftler mit einem extra dafür entwickelten Verfahren per Gefrierstrukturierung herstellen. „Dabei wird pflanzliche Zellulose in einem wasserhaltigen Lösungsmittel gelöst und anschließend mit genau definierter Geschwindigkeit eingefroren“, erklärte Müller. Dadurch wird die Zellulose gefriergetrocknet, so dass an die Stelle der Eiskristalle kleine Löcher treten. Neben reinen Zellulose-Implantaten testen die Jenaer Forscher auch Materialmischungen aus Zellulose und Kollagen. Sie sind noch Erfolg versprechender, da das Strukturprotein Kollagen ein wesentlicher organischer Bestandteil des Bindegewebes - und damit auch der Knochen und Knorpel - ist.
Das neue Verfahren wird nach Ansicht der Wissenschaftler auch bei der ebenfalls weitverbreiteten Osteoporose helfen. Auch hier sollen winzige Implantate den Knochenschwund aufhalten und das Knochenwachstum wieder anregen. Die Implantate bestehen aus von Bakterien produzierter Zellulose, die durch das Eingreifen der Wissenschaftler zu kleinen Kügelchen werden. Diese von Natur aus porösen Strukturen werden mit sogenannten Peptiden, das sind Proteinsequenzen, versehen und in den Knochen implantiert. „Knochenbildende Zellen wandern ein, das Knochenwachstum wird neu stimuliert“, sagt Müller.
Bis die neuen Implantate endlich bei Patienten eingesetzt werden können, wird allerdings noch einige Zeit vergehen. Vier Jahre haben die Forscher aus den fünf Ländern Zeit, ihr Implantat für die Anwendung in der klinischen Praxis zu optimieren. Die EU fördert das Projekt mit vier Millionen Euro. (dapd)