Brüssel. .
Um das Gesundheitsrisiko im Krankenhaus zu senken, hat die EU strengere Regeln für Klinik-Beschäftigte beschlossen. Fraglich ist, ob das etwas hilft. In Deutschland etwa sind die Regeln vorbildlich - aber man müsste sich auch danach richten.
Es ist ein Handgriff, der tödlich enden kann. Mindestens 600.000 mal pro Jahr greift in Deutschland eine Krankenschwester, ein Pfleger oder ein Arzt in eine blutige Kanüle. Nicht einmal die Hälfte dieser Fälle wird gemeldet. Eine neue EU-Richtlinie, die in dieser Woche von den EU-Regierungen abgesegnet wurde, soll den Arbeitsschutz verbessern. Doch zumindest in Deutschland gilt: Die Regeln sind gut – doch es mangelt an der Umsetzung.
Die hohe Dunkelziffer ist bereits ein Hinweis: Viele Betroffene tun den kleinen Piks als Bagatelle ab. Dabei genügt bereits eine nicht wahrnehmbare Menge Blut, um eine Infektion mit Hepatitis oder dem HIV-Virus auszulösen, erläutert Regina Jäckel von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) in Dortmund. Die Folge kann eine chronische Erkrankung und sogar der Tod sein.
Besonders hoch ist das Risiko in Stress-Situationen, nachts, bei Notfällen, auf engem Raum oder bei unruhigen Patienten. Der Stellenabbau im Gesundheitswesen ist für Johanna Knüppel vom Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) der Hauptgrund für die anhaltend hohe Zahl der Verletzungen: „Diese Arbeitsverdichtung überlagert alles andere.“ Im Durchschnitt alle zwei Jahre greifen Angestellte im Gesundheitsbereich in die Kanüle.
Arbeitsschutz krankt an der Umsetzung
Dabei sind die deutschen Arbeitsschutzrichtlinien vorbildlich. Die entsprechende Vorschrift, die TRBA 250 („Regel für biologische Arbeitsstoffe“), schreibt so einiges an Hilfsmitteln vor: Durchstichsichere Abwurfbehälter für benutzte Nadeln, Sicherheitskanülen, bei denen das spitze Ende nach Gebrauch automatisch abgedeckt wird und natürlich Gummihandschuhe. Aufklärung über die Risiken und das Angebot kostenloser Impfungen sind ebenfalls Pflicht.
Doch der Arbeitsschutz krankt an der Umsetzung. Stefan Baars, der für die Gewerbeaufsicht Niedersachsen Arztpraxen und Krankenhäuser kontrolliert, beklagt „fehlende Kenntnisse der Vorschriften“ und ein mangelndes Bewusstsein für die Risiken. Gerade in den Arztpraxen nimmt man Sicherheitsmaßnahmen nicht ernst genug. Die wenigsten Arzthelferinnen stülpen sich vor der Blutentnahme Gummihandschuhe über, bemängelt DBfK-Frau Knüppel und vermutet Sparwillen dahinter. Arbeitsschützerin Jäckel berichtet von einer Arzthelferin, die den Inhalt einer vollen Abwurfbox mit der Hand zusammendrückte, um Raum für weitere Nadeln zu schaffen. Und nicht nur medizinisches Personal ist betroffen: Ungeschützte Nadeln gelangen mit der Bettwäsche bis in die Krankenhauswäscherei oder mit dem Tablett in die Küche.
80 bis 90 Prozent der Stich- und Schnittverletzungen wären vermeidbar, schätzt Nenad Krajl, der an der Uni Wuppertal zum Thema forscht. Doch Zeitnot und Personalmangel verhindern eine konsequente Umsetzung der Vorschriften, die Gewerbeaufsicht ist überlastet und kann nur stichprobenartige Kontrollen durchführen. Daran ändert auch die neue EU-Vorschrift nichts.