Berlin. Videospiele könnten bald fester Bestandteil von Traumatherapien werden. Studien belegen den Effekt. Es gibt jedoch Einschränkungen.
Als Internet-Mythos geboren und nun durch Studien unterstützt: Tetris kann bei der Verarbeitung traumatischer Erlebnisse helfen. Damit könnte der Computerspiel-Klassiker für Therapien von Patienten posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) dienen. Das legt eine Reihe klinischer Untersuchungen nahe, die von einer polnischen Psychologin in einer Metastudie veröffentlicht wurde. Aus der Übersichtsarbeit geht jedoch ein großes „Aber“ hervor.
Bereits seit über zehn Jahren kursiert in einschlägigen Internetforen wie Reddit die Hypothese, dass bestimmte Videospiele bei der Traumabewältigung eine positive Rolle spielen können. Dabei sollen die visuellen Eindrücke des Computerspiels negative bildliche Erinnerungen überlagern. Untersuchungen in Schweden, Deutschland und Großbritannien stützen die Annahme. In Oxford ließen Psychologen im Jahr 2017 Patienten, die aufgrund von Verkehrsunfällen in die Notaufnahme eingeliefert worden waren, innerhalb der ersten sechs Stunden nach der Traumatisierung mindestens 20 Minuten Tetris spielen.
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Trauma-Therapie: Videospiele können Flashbacks verhindern
71 Testpersonen bestätigten die Hypothese mit 62 Prozent weniger Flashbacks. Die Tetris-Spieler berichteten zwei Wochen nach ihrem Unglück allgemein von weniger psychischen Problemen mit Bezug auf ihr Trauma als die Kontrollgruppe. Im Speziellen aber konnte, verglichen mit der Kontrollgruppe, ein stark reduziertes Auftreten von bildlichen Erinnerungen mit Bezug auf die Unglückssituation dokumentiert werden. Studienleiterin Lalitha Iyadurai von der Universität Oxford spricht deshalb von einer „therapeutischen Impfung“.
Eine weitere Studie, die im „Journal of Psychiatry and Neuroscience“ über die Behandlung von kriegstraumatisierten Armeeveteranen in stationärer Behandlung veröffentlicht wurde, vertiefte die Erkenntnisse 2020. Dabei schnitten Patienten in aktiver psychologischer Betreuung nach sechswöchiger Traumatherapie deutlich besser ab, wenn sie täglich eine Stunde Tetris spielten. Dabei schrieben die Probanden ihre traumatischen Erfahrungen auf einem Blatt Papier nieder, zerrissen dieses anschließend, ohne es zu lesen und spielten anschließend 25 Minuten Tetris.
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Kriegsveteranen, Unfall- und Gewaltopfer oder Horrorfilme: Tetris verdrängt bildliche Erinnerung
Dabei machten die Wissenschaftler bemerkenswerte Erkenntnisse. Denn die Veteranen konnten mit der Methode die Flashbacks an die niedergeschriebenen Erlebnisse um über 60 Prozent reduzieren. Deutlich weniger effizient war die Methode im Hinblick auf nicht thematisierte Traumata. Flashbacks wurden nur um 11 Prozent reduziert. Die Psychologen leiteten daraus ab, dass PTBS mithilfe von Tetris etappenweise anhand fokussierter Einzelereignisse behandelbar sei.
Wissenschaftler der Ruhr-Universität in Bochum und dem renommierten Karolinska Insitut in Stockholm konnten ähnliche Forschungsergebnisse produzieren. Im Fachmagazin „Nature“ beschreiben die Forscher der Universitäts-Kooperation therapeutische Potenziale für Menschen mit Traumata, die von Kriegserfahrungen, Gewalt, Unfällen, Vergewaltigung und sogar Folter betroffen sind.
Therapieplätze und Therapeuten sind Mangelware
Der Erfolg der unorthodoxen Methode beruht auf der beschränkten Gehirnkapazität zur Verarbeitung visueller Erfahrungen. Weil nur eine begrenzte Menge an Informationen gespeichert werden kann, treten verschiedene verarbeitete Erfahrungen in Konkurrenz. Videospiele erfordern und provozieren dabei besonders starken Fokus. Spielen Zeugen oder Opfer eines Unfalls also innerhalb von sechs Stunden – so lange braucht der Verstand, um Erfahrungen zu verarbeiten – Tetris, können diese Eindrücke traumatische Erfahrungen mittelfristig überlagern.
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Die Psychologen der Ruhr-Universität freuen sich nicht nur über die Erkenntnis, dass Videospiele therapeutisches Potenzial bergen. Für das Team um Prof. Dr. Henrik Kessler und Dr. Aram Kehyayan von der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie könnte die Methode einen gravierenden Mangel im deutschen Gesundheitssystem lindern. Denn es gibt „viel mehr Patientinnen und Patienten als Therapieplätze“, wie Oberarzt Kessler vom Uniklinikum Bochum erklärt. „Unsere Hoffnung ist, dass wir eine Behandlung ableiten können, die Menschen auch allein durchführen könnten, wenn kein Therapieplatz verfügbar ist.“
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Nachfolgeuntersuchungen ergaben jedoch, dass Unfallopfer oder -zeugen vier Wochen nach der Traumatisierung im selben Maße von Flashbacks heimgesucht wurden. Allein das Zocken heilte die Patienten also nicht. Dr. Kessler bemühte sich auf der Homepage der Ruhr-Universität, die Ergebnisse einzuordnen: „Die Intervention kann jedoch eine komplexe Traumatherapie nicht ersetzen, sondern lediglich ein zentrales Symptom, die Flashbacks, lindern.“
Neben Tetris untersuchten Wissenschaftler auch die Eigenschaften anderer Videospiele auf therapiefähige Effekte. Besonders gut schnitten neben dem Arcade-Klassiker Spiele ab, bei denen Spieler mit Worten tüfteln.
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