Berlin. Flut und Waldbrand, Feinstaub und Hitze: Dass der Klimawandel körperliche Schäden hinterlassen kann, ist offensichtlich. Aber auch die Psychiatrie erwartet wachsende Patientenzahlen aus diesem Grund.

Im Zuge des Klimawandels könnten mehr Menschen als bisher von psychischen Belastungen und Erkrankungen betroffen sein. Fachleute warnten am Mittwoch (16. November) in Berlin vor einem insgesamt erhöhten psychiatrischen Versorgungsbedarf im Kontext von Wetter- und Umweltveränderungen. „Der Klimawandel gefährdet die psychische Gesundheit. Das Gesundheitssystem ist darauf nicht vorbereitet“, schreibt eine Expertengruppe der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) in ihrer „Berliner Erklärung“. Bei der Vorstellung am Mittwoch forderten sie die Politik zu sofortigem Handeln auf.

„Klimaschutz bedeutet psychische Gesundheit. Klimawandel das Gegenteil“, sagte Mazda Adli, Chefarzt der Fliedner Klinik Berlin, der zur Expertengruppe gehört. Einer Metaanalyse zufolge gebe es mit jedem Grad Erderwärmung ein 0,9 Prozent höheres Risiko für psychische Erkrankungen, heißt es in einem DGPPN-Positionspapier. Schon heute erfüllen nach DGPPN-Angaben bundesweit knapp 28 Prozent der Erwachsenen im Zeitraum eines Jahres die Kriterien einer psychischen Erkrankung. Am häufigsten seien Angststörungen, Depressionen und Störungen durch Alkohol- oder Medikamentengebrauch.

Mehr psychische Erkrankungen

Was kommt im Zuge des Klimawandels hinzu? Mehr Angsterkrankungen, mehr Depressionen, mehr Traumafolgen, mehr Suizide, sagte Adli. „Das Klima geht ins Gehirn.“ Wer bereits eine psychische Erkrankung habe, sei dem Klimastress in besonderer Weise ausgeliefert. Andreas Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité Berlin, nannte als verletzliche Gruppen darüber hinaus Frauen, Menschen mit schwachen sozialen Netzwerken und solche mit niedrigem sozioökonomischem Status.

Als direkte Folge des Klimawandels werden im Papier zum Beispiel posttraumatische Belastungsstörungen genannt, die Menschen nach Katastrophen wie einem Hurrikan betreffen können. Es geht aber etwa auch um den Einfluss von Feinstaubbelastung: Dieser schade keineswegs nur der Lunge. „Schmutzige Luft sorgt für schwere psychische Krankheit“, sagte Adli.

Hinzu kommen indirekte Folgen, die „zusätzlich massive psychische Risiko- und Belastungsfaktoren“ darstellen, wie es hieß. Gemeint sind etwa Konflikte um Ressourcen wie Trinkwasser und Flucht wegen zerstörter Lebensräume.

Berechtigte Ängste

Dauerhafte Ängste, die manche Menschen wegen der Umweltzerstörung hätten, beeinträchtigten letztlich die Resilienz (psychische Widerstandskraft) und die Anpassungsfähigkeit, sagte Adli. Von Ängsten seien insbesondere junge Menschen betroffen. „Und als Psychiater, der normalerweise Ängste lindert, muss ich sagen: Diese Ängste sind berechtigt.“ Letztlich werde der soziale Zusammenhalt beeinträchtigt, was die Debatte um Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ nur zu gut zeige.

Die Fachleute schildern auch neue Begriffe: Klimaangst (climate anxiety) und Solastalgie (Trauer um verlorenen Lebensraum). Charité-Experte Heinz wertete sie als „ernstzunehmende psychische Belastungsfaktoren“.

Den Experten ist die Botschaft wichtig, dass Menschen nicht hilflos ausgeliefert seien, sondern etwas tun könnten. Sie fassen sich auch an die eigene Nase, wie es Meyer-Lindenberg formulierte, und stellten eine Selbstverpflichtung vor. Unter anderem soll die Psychiatrie nachhaltig und klimaneutral gemacht werden.