Berlin. Nächtliche Atemaussetzer erhöhen drastisch das Unfallrisiko im Straßenverkehr. Vor allem Menschen über 60 Jahre sind davon betroffen.
Statistiken des Verkehrssicherheitsrates zufolge wird jeder vierte tödliche Unfall auf Deutschlands Autobahnen von Fahrern verursacht, die für wenige Sekunden einnicken. Grund für Übermüdung sind häufig Atemaussetzer im Schlaf. Das sogenannte obstruktive Schlafapnoesyndrom (OSAS) führt zu Schläfrigkeit mit zwanghaftem Schlafdrang, vor allem in monotonen Situationen sowie zu Zeiten, in denen die Leistungsfähigkeit des Menschen ohnehin reduziert ist – zwischen 2 und 5 Uhr morgens sowie mittags gegen 14 Uhr. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) sind im Besonderen Menschen über 60 davon betroffen. Die DGSM warnt: „Schlafstörungen machen Menschen zu einem Verkehrsrisiko.“
Wodurch wird OSAS ausgelöst?
Verantwortlich für das Syndrom ist eine Kombination aus Schnarchen und Atemaussetzern. „Beim Schlaf in Rückenlage fällt die Zunge zurück, sodass die oberen Atemwege verschlossen werden“, sagt Prof. Maritta Orth. Sie ist Internistin, Lungenfachärztin, Schlafmedizinerin, Chefärztin am Theresienkrankenhaus in Mannheim, Professorin an der Bochumer Ruhr-Universität und Mitglied im Vorstand der DGSM. Die Atemaussetzer senken den Sauerstoffgehalt des Blutes, Signale des Gehirns sorgen zudem dafür, dass Betroffene weder in den Tief-, noch in den Traumschlaf gelangen. Diese Schlafphasen sind für die Erholung von Körper und Psyche aber enorm wichtig.
Was hat OSAS mit dem Alter zu tun?
Während in der Altersgruppe der 30- bis 60-Jährigen im Schnitt nur zwei Prozent der Frauen und vier Prozent der Männer betroffen sind, steigt der Prozentsatz der Betroffenen ab dem 60. Lebensjahr laut DGSM stark an – auf 26 Prozent bei Frauen und 52 Prozent bei Männern.Warum die Atemaussetzer im Alter so deutlich zunehmen, ist nicht abschließend geklärt. „Eine mögliche Ursache ist die im Alter zunehmende Erschlaffung des Gewebes, welche auch die Muskulatur der oberen Atmungswege betrifft, was das Auftreten von Schnarchen und Atmungsaussetzern begünstigt“, sagt Orth.
Trotz hoher Betroffenheit sei zwanghafte Tagesschläfrigkeit im Alter ein Tabuthema: „Wer redet in unserer älter werdenden Gesellschaft der ,Silveraner‘ und ,Golden Oldies‘ schon gern darüber, dass er nicht fit ist“, so Orth. Das Verschweigen dieses Massenphänomens berge große Gefahren.
Wie sehr beeinflusst Schläfrigkeit das Autofahren?
„Untersuchungen zufolge erhöht sich das Risiko für Unfälle beim Autofahren, aber auch bei der Arbeit oder im Haushalt um das Zwei- bis Dreifache“, sagt Orth. Die Bundesanstalt für Straßenwesen hat 2014 nach entsprechenden Forschungen eine messbar auffällige Tagesschläfrigkeit sogar in die Kategorie „nicht fahrtauglich“ aufgenommen. In Deutschland gilt: Wer nach einer OSAS-Diagnose einen durch Schläfrigkeit bedingten Unfall verursacht, hat eine Straftat begangen. Die Haftpflicht kommt für eine Regulierung der Schäden nicht auf.
Auch die Europäische Union hat 2014 reagiert. Das Schlafapnoesyndrom sei als Unfallursache „nicht mehr zu ignorieren
“, hieß es. Künftig müssen alle Mitgliedstaaten diese Erkenntnis im Verkehrsregelwerk berücksichtigen.
Wie kann ich die Störung erkennen?
„Wenn ich unausgeruht aufwache oder das Ausgeruhtsein nur kurz anhält, dann ist das ein klar
es Zeichen“, sagt Orth. Zwanghafte Schläfrigkeit sei dabei nicht mit Müdigkeit zu verwechseln. „Das ist wie ein Vorhang, der runtergeht, ohne dass die Betroffenen etwas dagegen tun kön
nen.“ Das abrupte Einschlafen müsse sich dabei nicht zwangsläufig ankündigen. „Manche Menschen können mit ihrer Schläfrigkeit umgehen. Das aber garantiert nicht, dass nicht doch etwas passiert“, so Orth.
Außerdem berge OSAS gesundheitliche Risiken: So sei nachgewiesen, dass sich ab einem bestimmten Schweregrad das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Bluthochdruck, Schlaganfälle, Herzrhythmusstörungen bis hin zum plötzlichen Herztod deutlich erhöhe.
Was kann man tun, wenn man tagsüber unkontrolliert einschläft?
„Der erste Weg sollte zum Hausarzt führen oder zu einem Lungenfacharzt, Hals-Nasen-Ohren-Arzt, einem Neurologen oder Kardiologen“, sagt Orth. Mittels eines Geräts, das Betroffene nach entsprechender Einweisung vor dem Schlafengehen anlegen, werden Schlafdaten aufgezeichnet, die schon am nächsten Tag ausgewertet werden können. Bei schweren Befunden erfolgt eine Überweisung ins Schlaflabor. Orth: „Der Goldstandard zur Therapie eines obstruktiven Schlafapnoesyndroms ist das Tragen einer Schlafmaske, welche mittels Druckanwendung auf die oberen Atemwege deren Kollaps vermeidet.“
Gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse über den Erfolg der Therapie?
„Wir konnten mithilfe von Simulationen nachweisen, dass sich eine schnelle Diagnostik und Therapie lohnt“, sagt Maritta Orth. Bereits zwei Wochen nach Therapiebeginn nähmen Konzentrationsfehler signifikant ab. Manche Patienten fühlten sich bereits nach wenigen Therapienächten „wie neu geboren“.
Meist aber gestalte sich der Weg zur Besserung fließend. Orth: „Manche OSAS-Karrieren haben sehr früh begonnen und sind erst spät erkannt worden. Mitunter kann es länger dauern, bis man eine Besserung verspürt.“