Berlin. Experten suchen nach Gründen, warum die Zahl der Diabetes-Patienten steigt. Immer häufiger erkranken junge Menschen unter 19 Jahren.

Etwa 350 Millionen Menschen sind laut Weltgesundheitsorganisation WHO von Diabetes betroffen. In den kommenden 20 Jahren soll sich die Zahl der Betroffenen verdoppeln. In Deutschland ist die Zahl der Erwachsenen mit diagnostiziertem Diabetes den Angaben zufolge seit 1998 um 38 Prozent angestiegen. Derzeit gibt es hierzulande etwa 6,3 Millionen betroffene Patienten. Bis zu zwei Millionen Menschen wissen nach aktuellen Schätzungen der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) noch nichts von ihrer Erkrankung.

Diabetes kostet die deutschen Sozialkassen nach DDG-Angaben jährlich 35 Milliarden Euro. Jetzt wächst auch die Anzahl der Kinder mit Typ-1-Diabetes. Experten versuchen, die Ursachen zu finden, und haben mit der Entwicklung von Impfungen begonnen.

Am 7. April, dem Weltgesundheitstag, erinnert die WHO mit einem global relevanten Gesundheitsthema an ihre Gründung im Jahr 1948. In diesem Jahr soll Diabetes ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt werden.

• Wie unterscheiden sich Diabetes Typ 1 und Typ 2?

„Bei einem Typ-1-Diabetes werden die Zellen, die das Hormon Insulin produzieren, durch das Immunsystem des eigenen Körpers angegriffen. Das heißt, es entsteht eine sogenannte Autoimmunerkrankung“, sagt Prof. Karsten Müssig, stellvertretender Direktor der Klinik für Endokrinologie und Diabetologie am Deutschen Diabetes-Zentrum in Düsseldorf. Die Ursachen sind nicht klar, vermutet werde eine Kombination aus ererbter Veranlagung und Umweltfaktoren wie einer zunehmenden Hygiene oder einer Feinstaubbelastung.

Im Gegensatz dazu spielt beim Typ-2-Diabetes der Lebensstil eine zentrale Rolle – sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen. „Neben der erblichen Belastung sind starkes Übergewicht und zu wenig Bewegung von Bedeutung“, sagt Karsten Müssig. Laut der gemeinnützigen Deutschen Diabetes-Hilfe leiden mehr als 90 Prozent der rund sechs Millionen Betroffenen hierzulande an Typ-2-Diabetes, es sind meist Erwachsene. 300.000 Deutsche haben Diabetes Typ 1.

Bei beiden Varianten ist die Blutzuckerregulation gestört, da in der Bauchspeicheldrüse zu wenig oder gar kein Insulin produziert wird oder das körpereigene Insulin nicht richtig wirkt.

Auf dieses Hormon kann beim Stoffwechsel nicht verzichtet werden: Es dient vor allem dazu, Traubenzucker (Glukose) aus dem Blut in die Zellen weiterzuschleusen, wo die Zuckermoleküle zur Energiegewinnung gebraucht werden.

• Woran lässt sich Diabetes Typ 1 erkennen?

Auf folgende Symptome sollte man laut Prof. Karsten Müssig achten: häufiges Wasserlassen, Kinder machen oft auch wieder ins Bett oder in die Hose. Außerdem verspüren Patienten starken Durst, fühlen sich müde und schlapp. Sie nehmen ohne ersichtlichen Grund ab. Müssig: „Diese Anzeichen verschwinden mit Beginn einer Insulinbehandlung, und man ist wieder normal belastbar.“

• Wer ist besonders betroffen?

Von den 300.000 Typ-1-Diabetikern in Deutschland sind laut der Deutschen Diabetes-Hilfe mehr als 30.000 Kinder und Jugendliche unter 19 Jahren. „Jedes Jahr kommen bis zu 2300 Neuerkrankungen hinzu, mit steigender Tendenz“, sagt Spezialist Müssig.

• Weshalb steigen die Zahlen von Diabetes Typ 1 an?

„Ein Grund könnte die erhöhte Feinstaubbelastung der Luft sein. Möglicherweise steckt aber auch die zunehmende Hygiene in deutschen Haushalten dahinter“, sagt Müssig und erläutert: „Es könnte sein, dass das Immunsystem auf diese Weise dazu veranlasst wird, gegen den eigenen Körper vorzugehen und Allergien oder Autoimmunerkrankungen wie Diabetes Typ 1 hervorzurufen.“

Eine andere Hypothese lautet: Kinder wachsen heute mehr in die Höhe als ihre Vorfahren, weil sie gut ernährt werden. „Möglicherweise eine Stresssituation für die Insulin produzierenden Zellen“, mutmaßt der Diabetesexperte, der weiß, dass auch ein Mangel an Vitamin D Diabetes begünstigen kann. Er und seine Kollegen stellen bei jungen Patienten zudem immer häufiger eine „Zwischendiabetes“ fest, eine Art Diabetes Typ 1,5. „Wir vermuten, dass er bei übergewichtigen Kindern und Jugendlichen entsteht, deren Insulin produzierende Zellen gestresst und dadurch weniger geschützt sind.“

• Kann eine Impfung helfen?

Das Helmholtz-Zentrum München, deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, meldet Erfolge bei einer Insulinschluckimpfung von Kindern: Die Studie „Pre-Point“ habe gezeigt, dass mithilfe von Insulinpulver eine schützende Immunreaktion bei Kindern zwischen zwei und sieben Jahren ausgelöst werden konnte, die einen Verwandten ersten Grades (also Vater oder Mutter) mit Typ-1-Diabetes haben. Seit einigen Monaten wird getestet, ob sich dieser Effekt auch bei Kleinkindern im Alter ab einem halben Jahr einstellt. „Grundsätzlich empfiehlt sich ein gesunder Lebensstil. Vollwertige Mischkost und Bewegung wirken sich günstig auf den Zuckerstoffwechsel aus“, sagt Karsten Müssig.

• Wie werden Typ-1-Diabetiker behandelt?

Sie erhalten Insulin mithilfe eines Pens, einer Spritze oder Pumpe. Regelmäßig müssen sie ihren Blutzucker kontrollieren und ihre Nahrung mit der körperlichen Aktivität abstimmen. Das bedeutet laut Karsten Müssig „vollwertige Ernährung, keine speziellen Diabetikerprodukte – ab und zu darf es auch mal ein Schokoriegel sein“.

Weil solche und andere Nahrungsmittel, die Kohlenhydrate enthalten (wie Nudeln oder Brot), den Blutzucker erhöhen, muss die Insulindosis auf die Menge der Kohlenhydrate abgestimmt werden. Ähnliches gilt auch für den Fall, dass Sport auf dem Stundenplan in der Schule steht: Bewegung kann den Blutzucker senken und dafür sorgen, dass Körper und Gehirn nicht mehr ausreichend mit dem Energielieferanten Glukose versorgt sind. Müssig: „Für den Fall einer solchen Unterzuckerung sollten Eltern oder Sportlehrer immer ein Päckchen Traubenzucker parat haben.“