Düsseldorf. Diabetes gibt es millionenfach in Deutschland. Der seltenere Typ 1 trifft bereits Kinder. Ihnen wird dabei viel Disziplin abverlangt.

Sein Tag beginnt mit Blutzucker-Messen und er endet damit. „Das ist in meinem Alltag so drin, seit zwölfeinhalb Jahren“, sagt Diabetiker Sven Müller (15) aus Leichlingen bei Köln. „Sechs, sieben Mal täglich Blutzucker messen, auch nachts – das ist Normalität für mich.“ Vor dem Essen bestimmt er den Kohlenhydratwert der Speisen und Getränke, berechnet seinen Insulin-Bedarf, spritzt sich die nötige Dosis. „Es ist schon mühsam, aber ich habs' im Griff und muss auf nichts verzichten.“

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148ED0001FE1FA15.jpg © dpa

Die Volkskrankheit breitet sich dramatisch aus. Darauf weist die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) anlässlich des Weltdiabetestags am 14.November hin. Bundesweit sind mehr als sechs Millionen Menschen in Behandlung, 2030 werden es nach ihren Angaben acht Millionen sein. Hinzu komme eine besorgniserregende Dunkelziffer von ein bis zwei Millionen Betroffenen – nicht diagnostiziert und daher unbehandelt. Die häufigste Form ist Typ 2, oft verursacht oder befördert durch ungesunde Ernährung, Übergewicht, Bewegungsmangel.

Typ-1-Diabetes tritt oft im Kindesalter auf

Anders ist es beim Typ 1 mit gut 300.000 Fällen: Die besonders im Kindesalter auftretende Autoimmunerkrankung bewirkt, dass die Bauchspeicheldrüse gar kein Insulin produziert, ohne dieses Hormon kann der Körper den Energielieferanten Zucker nicht aufnehmen. Sven bekam die Diagnose Typ-1-Diabetes mit vier Jahren. „Als kleines Kind fand ich das hart. Alle anderen konnten einfach so essen, nur ich durfte nicht.“

An seinem Bauch ist ein Mini-Kästchen befestigt, von dem aus eine kleine Nadel in die Bauchdecke führt. Daraus erhält er konstant eine kleine Grundmenge „Basal-Insulin“ sowie erforderliche Zusatzmengen. Über ein Gerät in Handyform – dem Bolus-Rechner – kalkuliert und steuert Sven die Zufuhr. Ab und zu greift er zusätzlich zur Spritze (Pen). „Wenn ich mich schwach auf den Beinen fühle, ist das ein Warnzeichen, dann muss ich schnell messen und essen.“

Die Volkskrankheit kann immense Folgen haben

Diabetes kann gravierende Folgen haben – Schlaganfall, Herzinfarkt, Erblindung, Fußamputation, Nierenversagen. 2013 starben 24.257 Menschen mit der Diagnose Diabetes, wie DDG-Expertin Eva-Maria Fach berichtet. Betroffen davon seien überwiegend „Menschen im fortschreitenden Alter“, erläutert Ralph Ziegler, Sprecher der AG Pädiatrische Diabetologie der DDG. Bei jungen Menschen bestehe vor allem die Gefahr einer Unterzuckerung, die zur Bewusstlosigkeit führen kann.

Die Stoffwechselerkrankung Typ 1 haben etwa 32.000 Heranwachsende bis 19 Jahre. 2500 kämen jährlich hinzu, betont Ziegler. Wie viele Heranwachsende am Typ 2 erkrankt sind, sei ungewiss, aber: „Das Problem wird unterschätzt.“ Bekannt sind rund 200 neue Fälle pro Jahr.

Ist Diabetes gut zu handhaben? Ein Fortschritt sei die Insulinpumpe, sagt Ziegler, der eine auf junge Diabetiker spezialisierte Praxis in Münster hat. „Und wir haben moderne Insuline, die schneller wirken. Leider noch nicht schnell genug.“ Recht neu ist ein dauerhaft zu tragendes Mikrogerät, ein CGM-Sensor mit winziger Nadel. Es misst alle drei Minuten den Zuckergehalt, kann auch Alarm schlagen. „Wir erwarten und hoffen, dass die Kassen dafür bald die Kosten übernehmen“, sagt Ziegler. Die Forschung arbeite daran, Pumpe und CGM zu einem Gerät zu vereinen, das dann die optimale Insulinabgabe – ohne Zutun des Patienten – managen könne.

Ernährung im Mittelpunkt des Weltdiabetestags

Der Weltdiabetestag rückt diesmal die Ernährung in den Mittelpunkt der chronischen Krankheit. Bei Typ 2 könnten gesundes Essen und Bewegung helfen, den Diabetes zu vermeiden und zu therapieren. Bei Typ 1 ist beides zumindest hilfreich. „Gesunde Lebensmittel sollten günstig sein, ungesunde wie Süßigkeiten teurer“, meint Ziegler. Da Haushaltszucker übermäßig konsumiert werde und in vielen Produkten stecke, könne eine „Zuckersteuer“ sinnvoll sein. „Wichtig wäre, irreführende, an Kinder gerichtete Werbung für übergewichtsfördernde Lebensmittel zu verbieten.“

In der Pubertät werde es oft schwierig, weiß DDG-Expertin Fach. Das Lösen von den Eltern, die erste Liebe oder das Testen von Alkohol führten mitunter zu „unüberlegtem Risikoverhalten“. Hormonveränderungen und Blutzuckerschwankungen wirbelten zudem vieles durcheinander.

Sven ist über seine Diabetes ein Gesundheitsfachmann geworden. Wie sich langes BMX-Rad-Springen auf seinen Energiehaushalt auswirkt oder wie viele Kohlenhydrate-Einheiten in den Lebensmittels stecken, weiß er aus dem Effeff. „Ich fühle mich nicht eingeschränkt. Aber bei Partys ist klar: Mehr als ein, zwei Bier geht nicht. Ich darf nie die Kontrolle verlieren.“ (dpa)