Berlin. Die Viren-Zeit ist da, es gibt erste Grippefälle. Noch bleibt Zeit, sich impfen zu lassen. Doch Ärzte streiten über die Wahl des Impfstoffes.
Die Tage werden kälter und kürzer, die Heizungen laufen. Mit dem Herbst hat auch die Grippe-Zeit begonnen. Nach einer spürbaren Erkrankungswelle im Winter 2014/15 sollen auch in diesem Jahr Millionen Impfdosen helfen, die Deutschen gegen die Grippe zu wappnen. Knapp 21 Millionen Stück hat das zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI) bisher freigegeben. Ob der Impfstoff aber immer wirkt, diese Frage treibt Experten schon seit einigen Wochen um. Nein, sagen die einen – alles kein Problem, sagen die anderen.
Entbrannt ist die Debatte um den sogenannte Dreifach-Impfstoff: Er enthält Antigene dreier weltweit zirkulierender Varianten des Virus, davon zwei vom Typ A sowie eines vom Typ B. Manchen Medizinern ist das zu wenig: Sie raten zum in Deutschland deutlich weniger gängigen Vierfach-Impfstoff, der einen weiteren B-Typen enthält. Wohl auch wegen der vermehrten Aufmerksamkeit durch Medienberichte sind die Vierfach-Vakzine laut PEI in dieser Saison jedoch nicht mehr verfügbar. Bestände gebe es womöglich noch im Großhandel.
Sind die Krankenkassen schuld, wie von Kritikern behauptet? Der Vierfach-Impfstoff ist tatsächlich deutlich teurer als der in großen Mengen von den Kassen georderte Dreifach-Stoff: Dieser kostet nach Angaben der Krankenkasse Barmer GEK „weniger als ein Drittel“ des Vierfach-Präparats.
WHO empfiehlt Zusammensetzung der Vakzine
Die Empfehlung zur Zusammensetzung der Vakzine kommt jedes Jahr von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) – allerdings relativ zeitig vor Beginn der Saison. Das birgt stets das Risiko, dass sich das Virus genetisch noch verändert. Schlimmstenfalls stimmt dann das im Impfstoff enthaltene Eiweiß nicht mehr mit dem Oberflächeneiweiß des Erregers überein. Das Immunsystem muss auf Unbekanntes reagieren.
Die „Befürchtungen einzelner Ärzte“ seien dennoch unbegründet, erklärt die Barmer GEK. Der zusätzlich enthaltene Virus-Typ komme nach derzeitigen Erkenntnissen „nur selten vor“.
„Für den einzelnen ist die Entscheidung völlig irrelevant“, sagt Caroline Isner, Medizinerin an der Klinik für Infektiologie und Pneumologie der Berliner Charité. Die WHO-Einschätzungen träfen meist zu, betont sie. Wenn es nicht so richtig passe, wie im vergangenen Jahr, sei das die Ausnahme. „Da muss man nicht gleich am Impfstoff zweifeln, auf keinen Fall“, betont Isner. „Vielleicht hat man etwas mehr Glück mit dem Vierfach-Impfstoff, aber ganz ehrlich: ein Stamm. Da weiß keiner, ob das noch mehr Schutz bringt.“
70.000 Grippefälle im vergangenen Jahr
Wichtig sei es, überhaupt geimpft zu sein, betont Cornelius Remschmidt, Fachmann für Impfprävention am Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin. Hochrechnungen zufolge gingen Menschen in Deutschland in der vergangenen Saison rund 6,2 Millionen mal wegen Grippe zum Arzt, wie das RKI kürzlich bilanzierte, 30.000 mussten ins Krankenhaus. Kliniken waren überlastet, in Unternehmen fielen die Angestellten reihenweise aus.
Wie viele Grippefälle es gab, ist schwer zu sagen: Ärzte lassen nur einen Bruchteil der Patienten labordiagnostisch untersuchen - rund 70.000 Fälle wurden auf diese Weise 2014 bestätigt. Die Zahl der Todesfälle schwankt von Jahr zu Jahr, die meisten der letzten zehn Jahre gab es 2012/13 mit 20.000.
Das ändert bislang nichts an der Zurückhaltung der Deutschen beim Impfen: Die Über-60-Jährigen sind nach RKI-Angaben etwa zu 50 Prozent geimpft, bei den Jüngeren aus Risikogruppen ist es nur noch jeder Vierte. Misstrauen in die Impfung und die Ansicht, Grippe sei keine gefährliche Erkrankung, gelten laut einer RKI-Studie als häufigste Gründe. Dabei lässt sich ein schwerer Krankheitsverlauf durch den Piks oft vermeiden: „Impfen lassen sollten sich Menschen über 60, chronisch Kranke, Schwangere und medizinisches Personal“, empfiehlt der RKI-Experte. „Bisher sind die Impfquoten absolut unzureichend.“
Ausbruchsrisiko in Massenunterkünften für Flüchtlinge
Angesichts der Umstände in engen Massenunterkünften für Flüchtlinge drohe ein hohes Ausbruchsrisiko im Vergleich zur einheimischen Bevölkerung. Wer zu einer Risikogruppe zählt, lasse sich wegen Sprachbarrieren schwerer herausfinden. „Da kann es sinnvoll sein, die Impfung allen Asylsuchenden anzubieten“, sagte Remschmidt. Die Gesundheitsämter müssten je nach Lage entscheiden.
Optimal ist Experten zufolge die Impfung im Oktober und November, aber auch später kann man sie meist noch nachholen. Nach etwa 14 Tage greift der Impfschutz. Bisher gibt es keinen Grund zur Beunruhigung: Es sind erst wenige Influenza-Fälle gemeldet.