Düsseldorf/Essen.. Volksmusiksendungen im Fernsehen sind so gut wie ausgestorben. Volkstümelnde Mode à la Dirndl und Krachlederhose liegt dagegen im Trend. Nun bieten sogar Textil- und Kaufhausketten großflächig Dirndl-Mode an. Auch an Rhein und Ruhr. Was ist denn da los?
Die beiden älteren Damen in der Kaufhof-Filiale an der Düsseldorfer Schadowstraße fühlten sich beim Schritt von der Rolltreppe im ersten Obergeschoss offenbar in ein anderes Bundesland gebeamt. So zeigten es ihre Gesichter: Dirndl, kleiderständerweise, breiten sich derzeit in Filialen der Kaufhauskette aus. So mancher Betrachter wundert sich da. Ist schon wieder Karneval? Hat sich der Lieferant geirrt? Aber nein!
"Dirndl sind ein bundesweiter Mega-Trend", sagt Mara Michel, Geschäftsführerin vom Netzwerk deutscher Mode- und Textildesigner. Michels Erklärung dazu: Zuerst seien Dirndl wiederentdeckt worden "von jungen Mädchen, die, weiterentwickelt aus den Mangas, auf der Straße im Pulk auftreten und dirndlanmutende Kleidchen tragen". Laut Michel "läuft das seit circa zwei Jahren." Modeleute und Trendscouts hätten dieses Modephänomen aufgenommen und nun "in die Kollektionen transportiert".
Dirndl sind "Anlass bezogene Kleidung"
Nachdem in den vergangenen Jahren bereits die Kaffeekette Tchibo im Internet Dirndl anbot, haben Kaufhof und C&A jetzt in vielen ihrer Häuser in großem Stil Dirndl in die Regale geräumt: auch in Essen, Oberhausen oder Dortmund. Das Ratinger Modelabel Esprit hat jüngst Dirndl in die Kollektion aufgenommen, auch für Mädchen. Dirndl bietet ebenso die Modemarke S. Oliver. Und der Versandriese Zalando unterhält inzwischen gar einen Online-"Dirndl-Shop".
Bei C&A bietet man Dirndl mittlerweile in 200 seiner 500 Filialen in Deutschland an - die Zahl der Geschäfte wurde im Vergleich zu 2012 fast verdoppelt, sagt Sprecher Thorsten Rolfes. Preise für Dirndl liegen zwischen 79 und 149 Euro. Zum Vergleich: Im Dirndl-Fachhandel kann man auch mehr als 1000 Euro für ein Dirndl anlegen. Rolfes spricht von "Anlass bezogener Kleidung".
Beim Dirndl geht es um Zugehörigkeit
"Trachten sind in ganz Deutschland ein wichtiger Trend und aus unserem Sortiment derzeit nicht mehr wegzudenken", sagt Sophie Lasos, Sprecherin der Kölner Galeria Kaufhof GmbH. Wie bei C&A sieht man Dirndl-Mode im direkten Bezug zum Oktoberfest: "Die gibt es ja mittlerweile bundesweit", sagt Lasos. Mancher Veranstalter ruft da gar Dirndl-Pflicht aus. Davon möchte man bei den Textilketten profitieren.
Für Simone Egger ist es die Vielfalt der Kombinationsmöglichkeiten, die Dirndl für immer mehr Kundinnen so tragbar machen, bei vielen Anlässen, nicht nur Oktoberfesten. Dirndl sind eine Art Baustein-Bekleidung, bestehend aus: Miederoberteil, Kleid, Schürze, dazu Accessoires wie Taschen und Schmuck. Beim Mann besteht das Outfit klassischerweise aus Lederhose, Oberhemd, Wadenwärmer und Haferlschuhen. Warum man das immer öfter außerhalb von Bayern anzieht? Egger sagt: "Es geht um Zugehörigkeit".
Dirndl drücken Heimat aus - und sind keine Verkleidung
Die promovierte Kulturwissenschaftlerin aus München hat sich wissenschaftlich mit dem Dirndl-Phänomen beschäftigt. Sie sieht Dirndl nicht als Verkleidung: "Die trägt man im Karneval, um jemand" anderes zu sein, Dirndl sei vielmehr ein Kostüm, "mit dem man sich selbst darstellt, aber auch als Teil einer Gruppe zeigt". Heißt: Mithilfe von Dirndl und Krachlederner lässt sich die Geselligkeit auf Oktoberfesten erst voll auskosten.
Dass Dirndl bis vor ein paar Jahren selbst in der Oktoberfest-Heimat München bei vielen Frauen Inbegriff von Spießigkeit waren und das nun gekippt ist, wundert Egger nicht. Sie sieht im Dirndl-Boom auch Ausdruck gleich mehrerer "Lifestyle-Trends". Dirndl drücken Heimat aus, sie betonen eine regionale Herkunft - die Widerbesinnung auf Region sei ein wachsenden Bedürfnis in Zeiten der Globalisierung, sagt Egger. Zudem: "In Deutschland gebe es in punkto Kleidung sonst nichts, was Heimat oder regionale Zugehörigkeit so deutlich definiert wie eben Dirndl".
Dirndl waren nicht immer Partykleidung
Dass das Dirndl sich heute derart in den Köpfen festgesetzt hat, fußt wohl auch darauf, dass die bayerischen Könige schon im 19. Jahrhundert Wert darauf gelegt hatten, dass die Bevölkerung Tracht trägt. Dirndl sind diesen Trachten nachempfunden. So hat Egger es erforscht.
Dass Dirndl nun selbst in Kaufhäusern bundesweit zu finden sind, ist für Egger so neu nicht: "Schon vor 100 Jahren wurden im Berliner Kaufhaus Wertheim Dirndl angeboten". Damals aber nicht als Partykleidung, sondern als Urlaubs-Outfit für die Damen bürgerlicher Kreise - damit sie sich auf der Sommerfrische in den Bergen adrett und passend kleiden konnten. Das geht wohl auf eine Schneiderin in Bayern zurück, irgendwann im 19. Jahrhundert. Simone Egger: "Sie hatte aus dem Unterkleid der Mägde ein Sommerkleid kreiert" - und das Dirndl war geboren.
Immer öfter sieht Egger Dirndl auch als Alltagskleidung in ihrer Umgebung und nicht mehr nur im Oktober - jedenfalls in München. Dass Dirndl auch an Rhein und Ruhr zum Alltagskleid werden, glaubt man jedoch selbst bei den Textilketten nicht: "Es würde mich sehr wundern", sagt etwa C&A-Sprecher Thorsten Rolfes. Dafür seien Dirndl dann regional doch zu speziell.