Ein neuer Kindergarten auf dem Werksgelände, gleich hinter der Konzernzentrale? Das hätte Alfred Krupp vermutlich gefallen, wenngleich ihn vermutlich die modernen, liberalen Erziehungsmethoden irritiert hätten. Aber schon unter Alfred Krupp gab es in der gerade boomenden Fabrik „Kleinkinderschulen“ – ein vergleichsweise winziger Mosaikstein im Kosmos des kruppschen Wohlfahrtsbereichs, der sich unter Alfred fast ähnlich stark ausdehnte wie die industrielle Produktion der Firma.
Werkswohnungen, Konsumanstalt, Schwimmbad, Krankenhaus und Leihbüchereien verbesserten den Lebensstandard der Kruppianer. Zudem versprachen schon ab Mitte des 19. Jahrhunderts Kranken- und Pensionskassen den Beschäftigten eine soziale Absicherung. Wer bei Krupp beschäftigt war, hatte ein besseres Leben als diejenigen, die in die benachbarten Bergwerke einfuhren oder beim nächsten Bauern arbeiteten.
Dabei waren es nicht einzelne Bausteine, die das kruppsche Sozialsystem so einzigartig machen – Betriebsrenten etwa gab es anderswo auch schon früher. Das Besondere war die Breite des Angebots. In seinen Glanzzeiten umsorgte Krupp seine Arbeiter praktisch von der Wiege bis zur Bahre.
Als Gründe für dieses herausragende soziale Engagement, das praktisch alle Krupp-Generationen ausgezeichnet hat, nennen Experten mindestens vier Aspekte, die je nach Ära unterschiedlich stark ausgeprägt gewesen seien: Zunächst stand schlicht Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft im Mittelpunkt. Schon von Friedrich Krupp wird berichtet, wie er kurz nach der Firmengründung Getreide an seine Arbeiter verteilt hat, als Brot besonders teuer war. Zunehmend wurde es für Krupp aber auch wichtig, qualifizierte Mitarbeiter zu halten. Also nutzte er neben hohen Löhnen – die die Konkurrenz überbieten konnte – gute Sozialleistungen, um die Belegschaft an sich zu binden. Wer bei Krupp kündigte, verlor alle Ansprüche daran, auch an die Sozialkassen.
Darüber hinaus verfolgten die Krupps mit ihrem Wohlfahrtssystem politische Ziele. Einerseits wollte Krupp im aufkommenden Klassenkampf die eigenen Arbeiter durch Bildung und Erziehung gewissermaßen zu Bürgern machen. Andererseits sollte etwa das günstige Versorgungsangebot oder die soziale Absicherung die Gesellschaft befrieden. So wollte Krupp einer Revolution vorbeugen.
Spätestens ab der Wende zum 20. Jahrhundert öffnete sich das kruppsche Wohlfahrtswesen auch zunehmend nach außen. Das Krupp-Krankenhaus etwa, im Deutsch-Französischen-Krieg 1870/1871 zunächst als Lazarett gleich neben dem Werk errichtet, wurde wenig später zu einer Klinik erweitert, die auch Frauen und Kinder behandelte. Heute ist sie – am neuen Standort in Essen-Rüttenscheid und getragen von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung – eines der modernsten Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen. Oder die Siedlung Margarethenhöhe: Gestiftet aus dem Privatvermögen von Margarethe Krupp sollte ab 1906 im grünen Essener Süden eine Kleinstadt für Tausende Essener Bürger entstehen. Anders als in früheren Krupp-Siedlungen richtete sich das Wohnungsangebot an die breite Bevölkerung. Werksangehörige sollten jedoch angemessen berücksichtigt werden.
Letztlich wurde bei Krupp über 200 Jahre Firmengeschichte die Idee transportiert, dass ein Unternehmen nicht nur an kurzfristiger Gewinnmaximierung orientiert, sondern auch dem Gemeinwohl verpflichtet ist. Eine Idee, die sich nach dem Tod Alfried Krupp von Bohlen und Halbachs in der nach ihm benannten Stiftung fortsetzt.
200 Jahre Krupp im Wandel der Zeit
1811: Der Anfang
1587 werden die Krupps in Essen das erste Mal erwähnt. Am 20. November 1811 gründet Friedrich Krupp in Essen eine Gussstahlfabrik.
1812: Die Zukunft
Alfred Krupp wird am 26.4.1812 geboren. Im selben Jahr werden der Schmelzbau und ein Hammerwerk an der Walkmühle in Altenessen errichtet.
1817: Die Qualität
Die Königliche Münze in Düsseldorf bestätigt die Qualität des Kruppschen Stahls. Krupp produziert Münzstempel, Walzen und Werkzeuge.
1835: Die erste Dampfmaschine
Alfred Krupp bestellt die erste Dampfmaschine für die Gussstahlfabrik.
1836: Die Krankenkasse
Auf freiwilliger Basis wird eine Kasse für Krankheits- und Sterbefälle gegründet.
1841: Die erste Auslandsvertretung
In Paris erhält die erste ständige Auslandsvertretung der Firma ihren Sitz.
1843: Das Besteck
Alfred Krupp entwickelt gemeinsam mit seinen Brüdern Hermann und Friedrich ein serienreifes Besteckwalzwerk.
1844: Die Goldmedaille
Auf der Berliner Gewerbeausstellung erhält Krupp für seine Produkte die Goldmedaille.
1846: Die Eisenbahn
Die Firma beginnt mit der Herstellung von Eisenbahnachsen und -federn. Den ersten Großauftrag erteilt 1849 die Köln-Mindener Eisenbahn: 2400 Trag- und 400 Stoßfedern.
1848: Die Revolution
Alfred Krupp wird Alleininhaber der Gussstahlfabrik. Während der Revolution von 1848/49 lässt er das Familiensilber einschmelzen.
1851: Die Weltausstellung
Auf der ersten Weltausstellung in London erhält Krupp die „Council Medal“, den höchsten Preis.
1853: Die Familie
Alfred Krupp heiratet Bertha Eichhoff aus Köln. Am 17. Februar 1854 wird Friedrich Alfred Krupp geboren.
1854: Das Patent
Alfred Krupp erhält ein amerikanisches Patent auf seine nahtlosen Eisenbahnradreifen. Der Schienenverkehr wird mit diesen Reifen sicherer und schneller.
1857: Die Mitarbeiter
Die Belegschaft des Unternehmens übersteigt erstmals die Marke von 1.000 Beschäftigten.
1859: Die Rüstungsproduktion
Beginn der Rüstungsproduktion in größerem Maßstab: 300 Geschützrohr-blöcke werden vom preußischen Kriegsministerium bestellt.
1861: Das Visuelle
In diesem Jahr wird die Fotoabteilung des Unternehmens gegründet. Große Werkspanoramen entstehen.
1861: Der Dampfhammer
Der von Alfred Krupp entworfene Dampfhammer „Fritz“ mit 1000 Zentnern Fallgewicht wird in Betrieb genommen.
1862: Der Stahl
Krupp baut das erste Bessemer-Stahlwerk auf dem Kontinent. Es ermöglicht Massenproduktion und Schienenherstellung.
1863: Die Siedlung
Die Werkssiedlung „Westend“ entsteht am südlichen Rand des Fabrikgeländes. Sie besteht aus 136 Wohneinheiten.
1868: Der Konsum
Der drei Jahre zuvor von Werksangehörigen gegründete Arbeiter-Konsumverein wird von der Firma übernommen und zur Konsumanstalt.
1869: Die Technologie
Der erste Siemens-Martin-Stahlofen in Deutschland wird auf der Gussstahlfabrik in Betrieb genommen.
1870: Das Krankenhaus
Die Kruppschen Krankenanstalten entstehen als Lazarett für Verwundete im deutsch-französischen Krieg.
1872: Das Grundgesetz
Das „Generalregulativ“ regelt Pflichten und Rechte der Mitarbeiter und legt Grundzüge der Geschäftsführung und der betrieblichen Sozialpolitik dar.
1872: Die Expansion
Die Steinkohlenzeche „Hannover“ in Bochum und die Johanneshütte in Duisburg werden erworben.
1873: Die Villa
1873 wird die Villa Hügel fertig gestellt. Das neue Domizil der Krupps hat 269 Zimmer.
1875: Die Marke
Drei übereinander gelegte nahtlose Eisenbahnradreifen werden vom Königlichen Kreisgericht in Essen als Wort/Bildmarke der Firma Krupp eingetragen.
1875: Die Frauen
Krupp gründet zwei Industrieschulen. Hier können Frauen und schulpflichtige Mädchen Handarbeiten für häusliche oder berufliche Zwecke lernen.
1883: Die Forschung
Mit der Errichtung eines zweiten Chemischen Laboratoriums durch Friedrich Alfred Krupp beginnt die wissenschaftlich orientierte Stahlforschung.
1886: Der Besuch
Der chinesische Vizekönig Li Hong-Zhang stattet dem deutschen Unternehmen einen Besuch ab.
1890: Die Stipendien
Gründung der Krupp-Stipendien-Stiftung. Die Stipendien werden für begabte Söhne der Mitarbeiter ausgelobt für eine bessere technische Ausbildung.
1892: Die Übernahme
Krupp übernimmt per Betriebsüberlassungsvertrag das Grusonwerk in Magdeburg.
1893: Die Erfindung
Rudolf Diesel, MAN und Krupp beschließen in einem Konsortialvertrag, Diesels Erfindung auszuwerten, um einen Dieselmotor zu entwickeln.
1896: Die Hütte
Für die neue Friedrich-Alfred-Hütte in Rheinhausen werden zunächst drei Hochöfen, ein Hafen, ein Wasserwerk und Werksbahnanlagen geplant.
1896: Die Werft
Krupp übernimmt am 19. August die Germaniawerft in Kiel.
1896: Der Kaiser
Kaiser Wilhelm II. besucht am 27. Oktober Krupp.
1899: Die Bücher
Die Kruppsche Bücherhalle wird eröffnet, und der Kruppsche Bildungsverein entsteht.
1902: Das U-Boot
Bau des ersten deutschen Versuchs-U-Bootes „Forelle“ auf der Kruppschen Germaniawerft.
1903: Die Aktiengesellschaft
Am 30. Juni wird die Firma Fried. Krupp in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Bertha Krupp ist Eigentümerin.
1905: Die Geschichte
Im Juni wird die „Geschichtliche Abteilung“ als erstes Unternehmensarchiv Deutschlands gegründet.
1906: Die Hochzeit
Bertha Krupp heiratet den Diplomaten Gustav von Bohlen und Halbach.
1906: Die Margarethenhöhe
Aus Anlass der Heirat ihrer Tochter stiftet Margarethe Krupp Land und finanzielle Mittel zum Bau der Siedlung Margarethenhöhe.
1912: Das Patent
Die nichtrostenden säure- und hitzebeständigen Chrom-Nickel-Stähle aus den Krupp-Laboratorien werden patentiert („Nirosta“).
1912: Das Fest
Im August wird das 100-jährige Bestehen der Firma Krupp unter Anwesenheit von Kaiser Wilhelm II. gefeiert.
1914: Das Geschütz
Die „Dicke Berta“ kommt im Ersten Weltkrieg zum Einsatz.
1919: Die Lokomotive
Krupp entwickelt seine ersten Lastkraftwagen. Zugleich wird am 6. Dezember die erste in Essen gebaute Lokomotive ausgeliefert.
1926: Der Werkstoff
Unter dem Namen WIDIA bringt Krupp ein gesintertes Hartmetall auf den Markt, das sich als Werkstoff für Werkzeuge hervorragend eignet.
1928: Die Schmiedepresse
Krupp baut in Essen-Borbeck die damals größte Schmiedepresse der Welt mit 15.000 t Presskraft.
1939: Der Krieg
Krupp ist Teil der Kriegswirtschaft des NS-Regimes.
1940: Die Zerstörung
Beginn der Luftangriffe auf die Gussstahlfabrik. Am Ende sind über 30 % der Essener Werke zerstört.
1943: Die Firma
Die Fried. Krupp AG wird per Erlass Hitlers in eine Einzelfirma umgewandelt. Der Inhaber heißt nun Alfried Krupp von Bohlen und Halbach.
1948: Das Urteil
Ein amerik. Militärgericht verurteilt Alfried Krupp u. a. wegen der Zwangsarbeiterbeschäftigung zu zwölf Jahren Haft und Vermögensbeschlagnahme.
1951: Die Freilassung
Der amerikanische Hochkommissar John McCloy begnadigt Alfried Krupp. Er wird am 3. Februar aus der Haft entlassen.
1953: Die Vollmacht
Berthold Beitz wird Generalbevollmächtigter von Alfried Krupp von Bohlen und Halbach.
1953: Die Ausstellung
In der Villa Hügel, die seit 1945 nicht mehr als Wohnsitz der Familie genutzt wird, wird die erste Kunstausstellung gezeigt.
1953: Der Vertrag
Die indische Regierung und die Firma Krupp unterzeichnen einen Vertrag über den Bau eines Hüttenwerks im indischen Rourkela.
1958: Der Osthandel
Krupp nimmt erstmals an der Posener Messe teil, Berthold Beitz reist auf Einladung des Ministerpräsidenten Mikojan in die Sowjetunion.
1960: Die Tauchkugel
J. Piccard und D. Walsh erreichen mit einer von Krupp hergestellten Tauchkugel als Erste den tiefsten Punkt des Meeres, ca. 11.000 m unter dem Meeresspiegel.
1961: Das Ausland
Das brasilianische Werk Krupp Metalúrgica Campo Limpo wird eingeweiht. Es stellt vor allem Kurbelwellen und Achsen für den Automobilbau her.
1963: Der Empfang
Der sowjetische Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow empfängt Berthold Beitz in Moskau.
1967: Die Umwandlung
Alfried Krupp gibt bekannt, die Firma in eine Kapitalgesellschaft umzuwandeln. Die Anteile sollen von einer gemeinnützigen Stiftung gehalten werden.
1968: Die Stiftung
Die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung nimmt ihre Arbeit auf.
1971: Das Radioteleskop
Das seinerzeit größte bewegliche Radioteleskop der Welt wird in Effelsberg in der Eifel in Betrieb genommen.
1972: Das Dach
Krupp Industrie- und Stahlbau errichtet das Dach des Olympiastadions in München.
1973: Die Begegnung
An der Spitze einer deutschen Wirtschaftsdelegation trifft Berthold Beitz den chinesischen Ministerpräsidenten Chou Enlai.
1976: Die Beteiligung
Der Staat Iran beteiligt sich mit 25,01 % am Stammkapital der Fried. Krupp GmbH. 2003 wird diese Beteiligung auf unter 5 % zurückgeführt.
1987: Der Protest
Die Stilllegung des Hüttenwerks in Rheinhausen wird beschlossen. Die Beschäftigten demonstrieren mit zahlreichen Aktionen.
1992: Die Mehrheit
Krupp erwirbt 1991 die Mehrheit an der Hoesch AG in Dortmund. Per Verschmelzung wird 1992 die Fried. Krupp AG Hoesch-Krupp gegründet.
1999: Die Fusion
Die Thyssen AG und die Fried. Krupp AG Hoesch-Krupp fusionieren zur ThyssenKrupp AG.
2010: Die Kunst
Eröffnung des von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung finanzierten Neubaus des Museum Folkwang in Essen.
2010: Das Quartier
Das ThyssenKrupp Quartier wird am 17. Juni in Essen eröffnet. Der Konzern verlegt seinen
Hauptsitz von Düsseldorf nach Essen.
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