Essen. Die Bundestagswahl steht vor der Tür, beinahe täglich schießen Prognosen zum Ausgang aus dem Boden. Warum Meinungsforscher oft knapp daneben liegen - und wie sie präziser werden könnten.

Während des Bundestagswahlkampfes haben Umfragen Hochkonjunktur. Woche für Woche versorgen die großen Meinungsforschungsinstitute Deutschland mit neuen Zahlen. Sie befragen tausende Menschen am Telefon, „was würden Sie wählen, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre“. Die berühmte Sonntagsfrage.

Beeinflussen Umfragen die Wahl?

Oft weichen Umfragen vom Wahlergebnis ab. Und der Wahlforscher Rüdiger Schmitt-Beck geht auch bei der Wahl am 22. September davon aus, dass dies der Fall sein wird. „Die wirtschaftsliberalen Wähler der CDU werden jetzt alle FDP wählen“, sagt er. Der Grund: eine Fortsetzung der Schwarz-Gelben Regierung. Die FDP liegt zurzeit stabil bei fünf Prozent. Der Mannheimer Politologe spricht hier von „strategischen Wählern“. Sie machen ihre Entscheidung von Trends in den Umfragen abhängig. Ob Umfragen tatsächlich einen Einfluss auf die Wahlentscheidung haben, gilt unter Politologen aber noch nicht als gesichert.

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Warum weichen die Ergebnisse ab?

Alle stimmen darin überein, dass Umfragen fehleranfällig sind. Der Düsseldorfer Wahlforscher Stefan Marschall sagt, dass sie zwischen zwei und fünf Prozent vom tatsächlichen Wert abweichen. Statistiker nennen dies Irrtumswahrscheinlichkeit. Die Probleme fangen bei der Stichprobe an. Hier sind auch die Demoskopen selbstkritisch: „Kein Institut kann bei einer Sonntagsfrage ein hundertprozentig repräsentatives Publikum der tatsächlichen Wählerschaft befragen“, sagte jüngst Manfred Güllner von Forsa. Dennoch ist stets von repräsentativen Umfragen die Rede.

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Aber auch, wenn die Meinungsforscher alles richtig machen, lässt sich der Zufall nicht kontrollieren. So schützt selbst die sorgfältigst gezogene Stichprobe nicht davor, dass die Meinungsforscher an bestimmte Gesellschaftsgruppen geraten, die in der Grundgesamtheit aller Wähler nicht so stark vertreten sind. „Schwer erreichbare Gruppen sind fast immer unterrepräsentiert“, so Schmitt-Beck. Die Institute bekommen sie schlechter ans Telefon, da sie seltener zuhause sind. Zudem sinke seit Jahren die Bereitschaft, an Umfragen teilzunehmen. Und viele Befragte lügen schlichtweg. Sie nennen den Meinungsforschern lieber eine Partei, von der sie denken, dass sie diese hören wollen.

Wie rechnen die Institute?

Ein weiteres Problem ist der über die Jahre gestiegene Anteil der Unentschlossenen. Sie entscheiden sich erst kurz vor der Wahl. Das sind ein Drittel der Wähler. Was sie in Umfragen antworten, ändert sich schnell. Solche Probleme versuchen die Meinungsforschungsinstitute zu lösen, indem sie die erhobenen Daten gewichten. Unterrepräsentierte Gruppen gehen stärker in die Ergebnisse ein. Wie sie genau rechnen, das wissen nur die Institute.

Prognosemodelle sind eine Alternative. Eines ist das Projekt „PollyVote“ des Münchener Politologen Andreas Graefe. Getestet hat er es bei den US-Präsidentschaftswahlen. Dort funktionierte es gut. „PollyVote“ wertet Wahlumfragen, Wahlbörsen, die Einschätzungen von Experten sowie Vorhersagen von statistischen Modellen aus. Andreas Graefe ist sich sicher, dass seine Prognosen sehr genau dem tatsächlichen Wahlergebnis entsprechen werden. Sein Modell sagt Schwarz-Gelb aktuell 47,9 Prozent vorher. Ob er recht behält, zeigt sich aber erst am Wahltag. Dann stehen alle Prognosen und Umfragen auf dem Prüfstand.