Hervest. . Zur Einstimmung auf die musikalische Bilderbuch-Aufführung in der kommenden Woche besucht Richard McNicol, der virtuose Musikvermittler des Klavierfestivals, die „Regenbogen“-Kinder.

„Künstler von morgen“ steht über dem Foto-Plakat vor der Tür des Musikzimmers. Dahinter hört man plötzlich richtig dreckiges Kinderlachen. Eine wohlklingende Vorleser-Stimme mit weichem englischem Akzent hatte den schadenfrohen „Künstlern“ sehr theatralisch-jämmerlich etwas vorgeweint.

Richard McNicol kann das: Er dirigiert die Fünf- und Sechsjährigen vom Familienzentrum „Regenbogen“, die auf blauen Matten um sein Bilderbuch herum hocken, als wär’s ein neunköpfiges Orchester. „Noch schneller“ und „noch schneller“ – und das Mitsingen nimmt mächtig Fahrt auf. „Seid still“ – und es ist für Momente so still, dass man das entfernte Besteckklappern aus dem Frühstücksraum hören kann. Bis Margarita Lebedkina wieder mit dem Klavierspiel einsetzt. Das Kamerateam in Diensten des Klavierfestivals Ruhr ist dann in dem kleinen Musikraum ohnehin vergessen.

Die gesammelte Aufmerksamkeit gilt einem neuen gemeinsamen Projekt des Klavierfestivals, der Folkwang-Universität und des Evangelischen Kirchenkreises als Kindergarten-Träger. „Schon im fünften Jahr“, wie Margarita Lebedkina mit hörbarem Stolz sagt, unterrichtet die erste Lehrerinnen-Generation im Kirchenkreis Dorsten-Gladbeck-Bottrop nach der Methode der „Little Piano School“. Die älteren „Künstler von morgen“ sind also längst Grundschüler.

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Das engagierte Klavierfestival-Team um den 37-jährigen Dr. Tobias Bleek, den Leiter des „Education“-Programms, will das Gelernte nicht mehr mit dem Schulbeginn abreißen lassen. Die 17 ältesten „Klaviergarten“-Kinder vom „Regenbogen“ wechseln im Sommer zur Augustaschule, und zwar „zu hundert Prozent“, weiß Uwe Haas, der Leiter des Familienzentrums. „Eine gemeinsame Fortbildung für Erzieher und Lehrer – das trägt weiter.“

Der Ohrwurm: „So ein Mist“

Genau das bietet das neue Klavierfestival-Projekt mit Workshops rund um Maurice Sendaks traumschönes Bilderbuch „Wo die wilden Kerle wohnen“ (die WAZ berichtete). Los ging’s schon im März mit einem gemeinsamen Konzertbesuch der „Regenbogen“-Kinder bei den Bochumer Symponikern. Und doch betont Richard McNicol, der virtuose Musikvermittler: „Die Musik ist hier nur das Mittel für ein soziales Projekt.“ Wie scheinbar selbstverständlich die Kleinen mit dem gemeinsamen Singen und Spielen auch Rücksichtnahme und Zuhören lernen – das macht die gemeinsame Seefahrt ins Land der „Wilden Kerle“ schon überzeugend deutlich.

Gerade weil es in dieser Geschichte auch wild zugehen darf: Zu Sendaks Zottelmonstern brüllt und faucht der Chor der Fünf- und Sechsjährigen gar fürchterlich. Und noch beim Verlassen des Musikzimmers, Hand in Hand, singen sie mit Elan den „So ein Mist“-Refrain.

„Garten“ statt Klavier-„Schule“

Aus 30 teilnehmenden Kindern wurden über 300 – und aus der „Little Piano School“ wurden „Klaviergärten“. Dr. Tobias Bleek überblickt den behutsamen Wandel in den Kindergärten des evangelischen Kirchenkreises.

Der 37-Jährige leitet das „Education“-Programm des Klavierfestivals Ruhr. Und dessen Intendant Prof. Franz-Xaver Ohnesorg war’s, den 2006 ein Besuch im venezianischen Udine so nachhaltig entzückte: Er hatte in Kim Monika Wright eine Musikpädagogin kennen gelernt, die – endlich – die Kleinsten nicht mit Orff’schen Instrumenten, sondern am Klavier musizieren ließ.

Die Amerikanerin gibt nach wie vor an der Folkwang-Hochschule Workshops für die künftigen Klavier-Pädagoginnen in den Kindergärten des Kirchenkreises. „Wir beginnen jetzt mit der Ausbildung der vierten Lehrer-Generation“, sagt Tobias Bleek. 15 junge Frauen sind noch aus den ersten, jeweils dreijährigen Ausbildungsgängen dabei. Bei der „Little Piano School“?

Nein, sie unterrichten jetzt im „Klaviergarten“. Tobias Bleek erklärt: „Es ist einfach nicht das Gleiche. Wir übernehmen die Wright-Methode nicht mehr Eins zu Eins. Hier ist alles noch spielerischer.“

So behutsam, wie die Folkwang-Pädagogen Wrights „Fingerfarben der Musik“ für die Kleinsten weiter entwickelten, so wollen sie auch die „Klaviergärten“ ausbauen. Nach dem heimischen Kirchenkreis kamen erst im Vorjahr auch zwei evangelische Kindergärten in Bochum dazu. „Und es gibt Pläne für Essen“, sagt Tobias Bleek betont vorsichtig.

Gründe sind zum einen die nach wie vor kleine Zahl der (ausnahmslos) Pianistinnen, die sich in diese Methode musikalischer Früherziehung eingestimmt haben. Zum anderen sind’s die Finanzen: Kein Kind soll abgewiesen werden, weil seine Eltern den Beitrag nicht aufbringen. „Dafür haben wir den Sozialfonds“, betont Tobias Bleek, gespeist vom Klavierfestival, dem Kirchenkreis und dem Verein der Freunde und Förderer des Festivals.

Auch dies lehrt die Erfahrung: Selbst wer sein Kind nicht gleich angemeldet hat, der ist ein halbes Jahr später dabei. Die Kleinen wollen im Musikzimmer dabei sein.