Kamen. .

Dokumente, Namen, Daten und Fakten sind eine Möglichkeit, die Geschichte greifbar zu machen. Eine weit eindringlichere ist, den Menschen hinter den Ereignissen eine Stimme zu geben.

Am Sonntag bekamen Täter und Opfer des Nationalsozialismus im Stadtmuseum auch 80 Jahre nach der Machtergreifung ein Gesicht. Die szenische Lesung „Antijüdischer Terror in Kamen“ ging unter die Haut.

300 Kamener beim Fackelzug

Klaus Goehrke hat viel zum Thema Nationalsozialismus recherchiert. In vielen Jahrzehnten war er es, der fast alles, was heute über die Geschehnisse bekannt ist, zusammengetragen hat. In mehreren Büchern hat er – häufig gemeinsam mit Schülern – Kamens nationalsozialistische und jüdische Vergangenheit beleuchtet. Auch Theaterstücke hat er schon basierend auf seinen historischen Studien auf die Schulbühnen gebracht. Eine öffentliche szenische Lesung, die auf historischen Dokumenten gründet, war jedoch auch für ihn eine Premiere.

Eine Idee, die pünktlich zum Auschwitz-Gedenktag für Begeisterung unter den Mitgliedern der Zivilcourage sorgte. „Es wollten viel mehr Freiwillige mitmachen, als wir Rollen zu vergeben hatten“, erzählt Klaus Goehrke. Sieben Akteure übernahmen am Ende die schwierige Aufgabe, sowohl den bürokratischen Tätern als auch den jüdischen Opfern und dem ganz normalen Mitläufer eine Stimme zu verleihen. Dabei war es für Goehrke selbst sicher alles andere als leicht, den gesetzestreuen Regierungspräsidenten oder den mehr als gehorsamen Bürgermeister in der Einschätzung jüdischer Mitbürger oder beim Kauf und Abriss der Synagoge im Originalwortlaut in Szene zu setzen. Sichtlich mit Emotionen zu kämpfen hatten auch jene, die von Hausdurchsuchungen, Schutzhaft, Übergriffen und Beschimpfungen als Betroffene berichten mussten.

Leicht hatte es jedoch auch das leider spärliche Publikum nicht, die in acht Szenen zusammengefassten Ereignisse zu begreifen. Mancher kämpfte sichtlich mit der Gänsehaut, wenn die Jüdin Else Wolff berichtete, dass während der Totenwache für die Schwiegermutter 300 Kamener mit einem Fackelzug vor ihrer Haustür am Markt die Machtergreifung feierten. Unruhig rutschten viele auf ihren Stühlen, als sie aus dem Mund von Hugo Jacoby hörten, wie er verhaftet und in Bergkamen-Schönhausen gezwungen wurde, mit der Zahnbürste die Toilette zu schrubben.

Auch in Kamen waren die meisten mehr als gehorsam, als es darum ging, jüdische Geschäfte zu boykottieren. Der Polizeimeister registriert befriedigt Denunziationen des „Verkehrs mit Juden“, der Landrat spricht stolz von der „nationalen Erhebung“. Prangertafeln, Verbotsschilder für Juden, Drangsalierung, Schläge und Ausschluss aus der Ev. Volksschule, grölender Gesang „wenn das Judenblut vom Messer spritzt, dann geht’s nochmal so gut“: Fassungslos registrierten die Zuhörer, was damals auch in Kamen an der Tagesordnung war.

Die Synagoge wird von Schülern geschändet, die dafür lediglich „auf die Ungehörigkeit ihres Verhaltens“ hingewiesen werden. Der Jude Adolf Wolff wird verfolgt, weil er eine Beziehung mit einer Katholikin hat. Jüdische Geschäftseigentümer werden zum Verkauf gezwungen, um die „Arisierung“ auch in Kamen voranzutreiben. Spätestens mit der Reichskristallnacht wird das Leben für Juden auch in Kamen unerträglich. Die letzten, die nicht geflohen sind, werden überfallen, drangsaliert, verhaftet, in Konzentrationslager deportiert.

Ausstellung im JKC geplant

48 Stolpersteine erinnern an ihre Schicksale – hinzu kommen 35 Ermordete, die bereits vor 1933 geflohen waren. Von den wenigen Überlebenden ist kein Einziger je nach Kamen zurückgekehrt. Viele Zuhörer wären am liebsten mit den Akteuren aufgestanden, um zu beteuern: „Wir werden niemals dulden, dass bei uns Rassismus und Fremdenfeindlichkeit Fuß fassen!“ Das Jugendkulturcafé liebäugelt bereits mit einer Ausstellung von Dokumenten zum Thema. Und hofft gemeinsam mit dem Stadtmuseum und Klaus Goehrke, dass mancher vielleicht doch noch Fotos und Bilder aus dieser Zeit im Fotoalbum oder auf dem Dachboden findet.