Essen. Im ersten Jahrzehnt nach Kriegsende erwacht auf im Ruhrgebiet wieder die Lebenslust. Die Mädchen tragen Petticoats, man fährt Käfer oder Isetta und trifft sich samstags in den Familien, die bereits einen eigenen Fernsehapparat hatten. WAZ-Leser schrieben uns ihre ganz persönlichen Erinnerungen auf.

Die 50er im Ruhrgebiet:  Das Trümmerland steigt zum Wirtschaftswunder-Land auf, und auch an der Ruhr blüht wieder Lebenslust auf. Mit Isetta und Käfer, mit Petticoat und dem ersten eigenen Fernseher. Mit Romy Schneider und Hildegard Knef als Sünderin. Nach dem Aufruf der WAZ schrieben   die Leser ihre Erinnerungen. Aus den mehr als 100 spannenden und anrührenden Briefen machten Rolf Potthoff und Achim Nöllenheidt ein Buch. Hier stellen wir ihnen einige Leser-Geschichten vor.

Wir hielten immer zusammen

Wenn ich an meine 50er denke, fallen mir kalte Winter ein, in denen wir auf die zugefrorenen Scheiben hauchten, um durch die Löcher hindurch sehen zu können.  Ab  Ostern wollten wir natürlich Kniestrümpfe tragen, egal wie kalt es noch war, und die Jungen trugen noch kurze Hosen.

In den Ferien fuhren wir alle immer zur Gruga, in den Wuppertaler oder Gelsenkirchener Zoo. Immer mit Straßenbahn, Bus oder Zug, denn wer hatte schon ein Auto?

Mit unserem ersten Fernseher sahen wir „Familie Schölermann“ und am Samstagabend schaute die ganze Familie bei Erdnussflips und Salzstangen Kulenkampff.

Fritz Buchloh und sein bester Freund Schnucki als Harry Belafonte und Elvis. Foto: Fritz Buchloh
Fritz Buchloh und sein bester Freund Schnucki als Harry Belafonte und Elvis. Foto: Fritz Buchloh © Unbekannt | Unbekannt

Das Wichtigste in dieser Zeit aber war unser Zusammenhalt in der Familie, sowohl bei uns zu Hause, als auch mit Onkeln und Tanten. Jeder half jedem und hatte für den anderen Zeit oder ein gutes Wort. Gabriele Protzek, Bottrop

Das Seifenkisten-Rennen

Es war nicht leicht, die Einzelteile für die Seifenkiste zu bekommen. Die Bretter und den Tafelleim besorgte ich mir in einer Bochumer Schreinerei. Bei einem Schmied bekam ich Schrauben, Spanner und Drahtseile für die Bremsen.

Schwierig wurde es bei den Rädern, die ich glücklicherweise im Eisenwarenladen Klusmeier in Bochum-Wiemelhausen erhielt. Es waren Kinderwagen-Räder.

Dann  konnte ich gemeinsam mit einem Freund die Seifenkiste bauen. Von der Zeitung hatte ich einen Bauplan mit den Maßen erhalten, Länge und Gewicht mussten stimmen. Vor dem Start wurden alle Seifenkisten geprüft. Am Ziel wurden die Seifenkisten auf einen Möbeltransporter geladen und wieder zur Startrampe gebracht.

Bei dem Rennen standen einige tausend Menschen am Straßenrand, es war eine tolle Kulisse. Der Renntag in Bochum war ein voller Erfolg!  Horst Schöpe, Bochum

Vor der „Wundermaschine“

Meine Mutter und ich wohnten mit meinem Opa in einer 45 qm kleinen 2½-Zimmer-Wohnung. Anfang der 50er Jahre hatten wir ein Radio oben auf der Küchenanrichte stehen. Jeden Sonntag um 14 Uhr bin ich auf das Podest der Anrichte geklettert und durfte mir den Kinderfunk anmachen. Ich bin förmlich mit dem Kopf ins Radio gekrochen, um ja nicht auch nur das Geringste zu verpassen.

Ein eigenes Radio! So sah der Fortschritt aus. Foto: Klartext Verlag
Ein eigenes Radio! So sah der Fortschritt aus. Foto: Klartext Verlag © Unbekannt | Unbekannt

Besonders stolz war ich, als mein Opa 1959 einen Schwarz-Weiß-Fernseher kaufte. Welch eine Errungenschaft! Das ganze Haus sprach über unsere Anschaffung, beneidete uns darum und wollte gerne diese „Weltneuheit“ sehen. Der Fernseher stand in der Wohnküche auf der Spülanrichte. Jeden Samstagabend kam ein befreundetes Ehepaar mit seinem Sohn zu uns, um sich mit uns das Programm anzusehen. Jeder von uns allen war frisch gebadet und gestriegelt, nahm sich einen Stuhl und reihte sich vor dem Fernseher auf. Ich spüre noch heute den Stolz in mir, dass wir solch eine Wundermaschine hatten. Gabriele Krane, Oberhausen

Milchbauer und Kartoffelmann

Bis zu meinem neunten Lebensjahr wuchs ich in Duisburg-Hamborn auf. Es gab nur wenige Autos, in unserem Haus im Dichterviertel Goetheplatz 1 hatte ein Nachbar eine Isetta. Das war ein vielbestauntes Gefährt, das man gleichsam durch die „Windschutzscheibe“ bestieg. Zusätzlich zu den Tante-Emma-Läden konnte man auf der Straße einkaufen. Täglich kam der Milchbauer, und man ging mit Aluminiumkannen hin, in die  die  Milch gefüllt wurde. Der Kartoffelmann machte durch lautes „Kartoffeln“-Rufen auf sich aufmerksam.

Zur Schule ging es an zerbombten Häusern vorbei, damals für uns Kinder nichts Ungewöhnliches. Meine Kindheit habe ich als wunderschön in Erinnerung. Man konnte auf der Straße spielen oder im Hof, auf dem man Hüpfkästen und Völkerballspielfelder mit Stöcken in den Boden malen konnte. Marianne Bockisch, Essen

In den Nebeln der Waschküche

Ich, Jahrgang 1955, bin bei der Großmutter aufgewachsen. Besondere Erinnerungen habe ich an Omas Waschtage. Dann ging es hinunter in die Waschküche. Schon am Vorabend wurde unter einem großen Kübel mit Wasser Feuer entfacht und die Wäsche über Nacht eingeweicht. Am nächsten Morgen ging es dann schon ganz früh mit Oma in die Waschküche.

Nach harten Kriegsjahren ging es in den 50ern auch im Ruhrgebiet wieder bergauf. Dieses Foto schickte uns Familie Hannwacker. Foto: Klartext Verlag
Nach harten Kriegsjahren ging es in den 50ern auch im Ruhrgebiet wieder bergauf. Dieses Foto schickte uns Familie Hannwacker. Foto: Klartext Verlag © Unbekannt | Unbekannt

Ich bekam eine kleine Fußbank  hingestellt, etwas abseits vom feuchten und heißen Geschehen. Besonders im Winter entstand mit der Zeit so viel Wasserdampf, dass man die Hand nicht mehr vor Augen sehen konnte. Ich weiß noch, dass ich dann immer ein wenig Angst bekam und in den Raum hinein leise nach meiner Großmutter rief. Sie antwortete immer: „Hier bin ich, mein Kind!“ Dann war wieder alles gut...

So ein Waschtag damals bedeutete richtig Arbeit, zumal  man meist nur ca. alle zwei bis vier Wochen „dran war“. Denn die Benutzung der Waschküche ging im Haus reihum. Kein Vergleich mit der Bequemlichkeit von heute. Rosemarie Schulte-Wilde, Herne

Rolf Potthoff, Achim Nöllenheidt (Hg.): Nylon, Pütts und Rock ‘n’ Roll, Erinnerungen an die 50er Jahre im Ruhrgebiet, Klartext Verlag, 264 Seiten, zahlr. Abb., 15,95 €. ISBN: 978-3-8375-0879-6