Unna. .

Sie sind ein geradezu sprichwörtliches Element unserer technischen Welt: die Zahnräder, die ineinander greifen, Kräfte übertragen, Dinge in Bewegung bringen, Herz und Seele mechanischer Maschinen sind. Die kleinsten sind mit dem bloßen Auge kaum noch zu erkennen, die größten wiegen viele Tonnen, und das Firmenzeichen von Citroen, dies aber nur ganz am Rande, stellt stilisiert zwei Elemente einer Schrägverzahnung da, die früher einmal eine Spezialität in den Getrieben der Franzosen war. Keine Frage: Über Zahnräder könnte man schwadronieren und philosophieren, stundenlang.

Stefan Bußmann sitzt an einem leergeräumten Besprechungstisch in einem schmucklosen Besprechungszimmer und erweckt nicht den Eindruck, als würde er im nächsten Augenblick anfangen, von Zahnrädern zu schwärmen. Grund dazu hätte er schon, denn der 42-jährige Diplomingenieur ist mit Benedikt Kummer Geschäftsführer der Zahnradwerke Unna. Zahnräder sind, wenn man einmal so sagen darf, sein Leben, sein berufliches zumindest. „Zahnräder, Walzen und Wellen“, präzisiert er. Doch „Zahnräder sind ein nicht emotionales Produkt“. Und greift zum Handy, das auf dem Tisch liegt, erbarmungslos klingelt und dem Chef Entscheidungen abnötigen will. Wo beginnen? Bußmann ist ein Spezialist, Massenware wird hier nicht hergestellt. Fast jedes Teil entsteht nach individuellen Plänen, Serien bleiben klein. Also: Wozu sind Zahnräder aus Unna gut?

Gigantische Zahnräder

Beispielsweise für den Mining-Bereich. Die Firmen brauchen für ihre weltweit gefragten Maschinen gigantische Zahnräder, die aus Unna kommen. Ritzelwellen, eine andere Produktgruppe, gehen an ausländische Hersteller von Pumpen für die chemische Industrie. Sie sind erforderlich, um besonders hohe Drücke aufzubauen, und sie müssen aus Materialien sein, denen aggressive Chemikalien nichts anhaben können. Deshalb werden Ritzelwellen auch aus keramischem Material gefertigt, weiß statt stählern glänzend, chemisch unkaputtbar.

Das Wort Welle – die nächste Produktgruppe – weckt bei technischen Laien möglicherweise eine falsche Assoziation. Denn in der Welt der Technik wellt sich die Welle nicht, sondern ist völlig glatt und gerade, dazu geschaffen, Energie durch Drehung zu transportieren. Wellen der Zahnradfabrik Unna sind bis zu fünf Meter lang und finden „im allgemeinen Maschinenbau“ Anwendung. Wo zum Beispiel? Zum Beispiel in den Antrieben großer Schiffe. Sie ermöglichen es, auch mit größten Containerfrachtern ohne Schlepperhilfe an- und abzulegen. Keine ganz neue technische Entwicklung, aber nach wie vor faszinierend.

Zwischen Walzen passt kein Haar

Und wozu dienen die Wellen dort auf der Palette? Sie sind für die Automobilindustrie bestimmt, Richtwalzen für Richtmaschinen, in denen Autobleche vor der Weiterverarbeitung picobello geglättet werden. Die Toleranz beträgt einen hundertstel Millimeter. „Zwischen die Walzen passt kein Haar“, sagt Bußmann. Allerdings verschleißen sie im täglichen Betrieb und müssen deshalb alle paar Monate nachgeschliffen werden. Auch das geschieht hier in der Fabrik.

Maschinen, in denen sich Zahnräder aus Unna drehen, können durchaus eine halbe Million kosten, für ein einzelnes Zahnrad muss die Kundschaft mitunter Fünfstelliges auf den Tisch legen. Bis zu zehn Arbeitsschritte erfordert die Herstellung. „Um Bauteile in dieser Qualität produzieren zu können, brauchen wir gute Mitarbeiter“, sagt Bußmann. Was muss ein Mechaniker mitbringen? Mathematische Fähigkeiten, räumliches Vorstellungsvermögen, handwerkliches Geschick.

Zwei Drittel der Endprodukte gehen nach Asien, vor allem nach China. Das Geschäft, Bußmann macht daraus keinen Hehl, läuft im Moment sehr gut. Aber bleibt das für alle Zeiten so? „Die Kernfrage ist: Gehen die Asiaten in den mühsamen Sondermaschinenbau?“, sagt Bußmann. Oder fertigen sie lieber, wie bisher, Massengüter für die ganze Welt und kaufen die Spezialmaschinen von den Deutschen, die hier weltweit führend sind?

Die zweite Frage, die den Firmenchef bewegt, betrifft die allgemeine Wirtschaftslage. Konjunkturelle Dellen spüren auch Spezialisten wie der Zahnradhersteller früher oder später. Was aber als positiver Standortfaktor bleibt, ist das „Made in Germany“: „Die Deutschen gelten in der ganzen Welt als pedantisch genau“, sagt Bußmann, „das ist ein gutes Omen. Gerade von den Asiaten bekommen wir Aufträge, wenn es um Präzision geht.“ Und natürlich wird das Image gepflegt.

Trotzdem. Der Markt ist in Bewegung. „Wir müssen uns immer wieder neu definieren“, sagt Bußmann. „Einfache Produkte brechen nach unten weg“, werden von potenziell billigeren Fertigern irgendwo in der Welt übernommen. Technisch absolut auf der Höhe zu bleiben ist deshalb für einen Spezialhersteller überlebenswichtig, was immer auch bedeutet: „Stetig die Mitarbeiter schulen und neue qualifizierte Mitarbeiter generieren.“ Zwar wird wohl niemand das Zahnrad neu erfinden, doch Getriebe werden kleiner und die Belastungen der Bauteile größer, und die Bearbeitung dieser hochfesten Werkstoffe bedingt einen immer höheren Aufwand.

Doch das Wort „klein“ ist, wie eingangs schon angedeutet, in der Zahnradproduktion relativ. Auf einer Palette liegt eine Metallscheibe, dick und rund und ohne Zähne. „Das sind etwa anderthalb Tonnen“, sagt Bußmann. Und natürlich soll auch aus diesem Stahlklotz ein Zahnrad „Made in Unna“ werden. Für eine Baumaschine in Kanada, Südamerika, Australien. Oder wo auch immer.