Lüdenscheid. . Unter dem Vorwand einer Ruhestörung hat ein Jugendlicher in Lüdenscheid zwei Polizeibeamte in einen Hinterhalt gelockt und mit einer Armbrust auf die beiden Beamten geschossen. Nachbarn und der Vorsitzende der Polizei-Gewerkschaft im Märkischen Kreis reagierten geschockt.

Ein abgeschossener Pfeil traf den 43-jährigen Polizisten, blieb jedoch in seiner Jacke stecken. Für den Jugendlichen, der außerdem Sprengfallen und Brandbomben in der Wohnung seiner Mutter deponiert hatte, hat der Haftrichter Untersuchungshaft angeordnet. Die Mordkommission ermittelt.

In der kleinen Wohnstraße im Süden Lüdenscheids ist schon kurz nach dem Schrecken von Freitagnacht nichts mehr zu spüren von Polizeieinsatz und Sprengstoffsuche. Sechs Mehrfamilienhäuser erschließt die kurze Stichstraße.

Das Haus Nummer sechs ist das letzte in der Reihe, zu erreichen über einen schmalen Fußweg und ein paar Stufen. Er wolle nichts sagen, sagt ein Bewohner aus einem der oberen Geschosse, in den übrigen Wohnungen tut sich nichts.

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Und auch die direkte Nachbarin möchte nicht genannt oder fotografiert werden, spricht dann aber doch ein paar Sätze, denn verstehen kann sie eigentlich nicht, was ihr und ihren Nachbarn passiert ist. „Er war ein guter Junge, immer freundlich. Wir wünschen uns im Haus hier einen guten Weg. Sonst nicht viel. Ich kannte ihn, da war er noch so klein“, sagt sie und zeigt etwa auf Tischplattenhöhe. „Er soll in der Schule schon mal laut geworden sein“, das hat sie gehört. Doch einen Anlass für den Angriff kann sie sich nicht vorstellen: „Ich bin keine, die jemanden so schnell verurteilt.“

Mutter hat sich bei allen im Haus entschuldigt

Sie selbst war erst am Samstagmorgen gegen 4 Uhr ins Bett gekommen und hatte zunächst bei einer Bekannten gewartet, bis das Gebäude wieder durch die Polizei freigegeben war. Und am nächsten Tag hat sie auch ihre Nachbarin gesehen. „Die Mutter hat sich bei allen entschuldigt im Haus.“

„Da ist mir richtig kalt geworden, als ich das gehört habe.“ Mario Schroer, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei im Märkischen Kreis, erfuhr aus den Medien von dem Vorfall und spricht von einer neuen Qualität der Gewalt gegen Polizisten, wie man sie sonst nur aus Ballungsgebieten kenne. Nicht umsonst fordere die GdP schon lange, Gewalt gegenüber Polizeibeamten und auch Rettungskräften konsequenter zu ahnden und als eigenen Tatbestand einzuführen.

Bei jedem Einsatz begibt sich die Polizei in Gefahr 

Mario Schroer, selbst Polizeibeamter im Einsatz auf der Straße, nennt das grundsätzliche Problem der Kollegen: „Man weiß nie, was einem bevorsteht, wenn man in den Einsatz fährt.“ Eine Alarmierung wegen Ruhestörung könne 15 bis 20 Mal am Wochenende stattfinden, aber man dürfe trotzdem niemals in Routine verfallen. Den Lüdenscheider Fall vom Freitag kenne er nur von Schilderungen, doch hier seien die Kollegen offenbar gezielt in ein gefährliches Szenario gelockt worden. „Da hat man keine Chance“, erinnert er sich an einen eigenen Einsatz, als plötzlich jemand mit einer Machete auf ihn zugelaufen sei.

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Einen Schutz gegen bewaffnete Attacken gebe es letztlich nicht. 99 Prozent der Polizisten würden nach seiner Einschätzung kugel- und stichhemmende Westen tragen, doch eine absolute Sicherheit gebe es nie: „Wir wissen, dass wir mit solchen Gefahren leben müssen.“

Nur durch Zufall nichts Schlimmeres passiert

In Lüdenscheid sei es wohl Zufall gewesen, dass nichts Schlimmeres passiert sei – sowohl den eingesetzten Kollegen wie auch dem Angreifer in dem Fall, dass von der Waffe Gebrauch gemacht worden wäre. Diese Abwägung müsse schließlich in Sekundenbruchteilen erfolgen. Den Kollegen wünsche er, dass sie mit dem Vorfall zurechtkommen, bei Bedarf auch durch Betreuungsteams aus Trainern und Psychologen.

Sein Fazit für die Zukunft fällt allerdings nicht gerade sehr rosig aus. „Das wird nicht das letzte Mal gewesen sein.“ Nach wie vor gelte unter den Kollegen die Maxime: „Das Wichtigste ist, nach acht Stunden wieder heil nach Hause zu kommen.“