Märkischer Kreis.
Das Christentum prägt seit 2000 Jahren die Kultur des Abendlandes. An Weihnachten besinnt sich mancher, der über das Jahr mit Religion nichts am Hut hat, auf die gute alte Tradition. Die Gottesdienste, gleich welcher Konfession, sind an Heiligabend so gut besucht, wie an keinem anderen Tag im Jahr. Wird der Pfarrer zum Eventmanager, betreibt gar Entertainment von der Kanzel? Die Superintendenten der beiden Kirchenkreise im MK und der Kreisdechant geben Antwort.
Gilt der Kirchgang heutzutage als Kulturevent?
Ob aus religiösen Bedürfnissen, Tradition, Pflichtgefühl oder Erlebnisdrang: Der Kirchgang gehört an Weihnachten für viele Familien zum Ritual und bekommt laut Johannes Broxtermann, Kreisdechant im katholischen Dekanat Altena-Lüdenscheid, „bei manchen durchaus in Richtung Event“.
Dass die Kirchenbänke an Weihnachten deutlich voller sind als sonst, zeigt laut Martina Espeloer, Superintendentin im Kirchenkreis Iserlohn, „dass die Menschen an solchen Tagen ein sehr großes Bedürfnis nach Gottesdienst haben“.
„Es geht auch darum, dass ein Weihnachten ein Stück Sehnsucht zu erfüllen gesucht wird, einen Ort der ruhe und des Friedens zu finden und aus dem Stress, der Hektik und Unruhe des alltäglichen Lebens herauszutreten“, ist der Superintendent des Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg, Klaus Majoress, überzeugt.
Ein kultureller Aspekt sei grundsätzlich nichts Verwerfliches, so Martina Espeloer. Insofern aber Menschen Antworten suchen, um die Diskrepanz ihrer Lebenssehnsucht nach Frieden und Heil mit der weltlichen Wirklichkeit, die oft geprägt sei durch Zerrüttetheit und persönliches Scheitern, in Einklang zu bringen, sei Kirche viel mehr als Kulturevent.
Gottesdienste verhelfen laut Espeloer zu einem Ritual an den Feiertagen: „Für viele Familien ist der Kirchgang der Auftakt in den Heiligen Abend.“ Und eine solche Struktur sei ein durchaus ernst zu nehmender Aspekt.
Wie kann die Kirche den weihnachtlichen Besucheransturm nutzen?
Der katholische Pfarrer Johannes Broxtermann beantwortet die Frage mit einem klaren „Ja – und zwar in dem sie einen wirklich guten Gottesdienst feiert, der die Herz en berührt.“
„Menschen, die nur an Weihnachten zur Kirche gehen, werden nicht außen vor gelassen, sondern gehören in ihrem Christsein dazu“, sagt Klaus Majoress. Dennoch sei die Christmette nicht das Mittel zum Zweck, die Kirchenbänke auch dauerhaft zu füllen. „Wenn sie kommen, ist ihnen der Ort wichtig“, so der Lüdenscheider Pastor. „Ich möchte da nicht zwischen Christen und Nicht-Gläubigen unterscheiden.“
Seine Iserlohner Amtskollegin nutzt die Gelegenheit für sich selbst. Espeloer: ich nutze Weihnachten zu einer besonders sorgfältigen Predigtvorbereitung und Gottesdienstgestaltung.“
Ist der Seelsorger angesichts des Erlebnisdrangs der modernen Gesellschaft nicht längst zum Entertainer geworden?
„Auf keinen Fall“, sagt Klaus Majoress, obwohl Kirche davon geprägt sein, dass besondere Anlässe auch Eventcharakter haben.
„Auf den Gedanken kann man schon kommen, wenn man die Zahl der Veranstaltungen sieht, die die Pfarrer in diesen Tagen machen müssen“, sagt Martina Espeloer. Sie tun es, „weil sie hoffen, dass diejenigen, die zu ihnen kommen, echten Gewinn davon haben, Trost und Ruhe finden.“ Die Fülle – bis zu fünf Gottesdienste allein an Heiligabend – stellt die Superintendentin durchaus in Frage.
Johannes Broxtermann geht es darum, „dass die bekannte Geschichte nicht wie ein Märchen aufgenommen wird, sondern für die Menschen bedeutsam wird.“
Muss Kirche inzwischen etwas Besonderes auf die Bühne bringen, quasi eine immer bessere Show bieten, um Menschen anzulocken?
Majoress nennt es eine Gratwanderung: Auf der einen Seite gelte es, besondere Anlässe – Weihnachten allen voran – als solche wahrzunehmen. „Andererseits wollen wir die Kontinuität in Glauben fördern, den Menschen regelmäßig durch die Predigt Zuspruch und Trost für das tägliche Leben geben.“
Weihnachten sei zwar das Fest der Familie, die feiert sich laut Kreisdechant Broxtermann aber nicht sich selbst, sondern Gott: „Wenn man das vergisst, mutieren Weihnachten und Kirche zum bloßen Kulturevent.“