Unna. .

Es gibt erschütternde Biografien, die sich in zwei Halbsätzen erzählen lassen. Eine, nur einmal als Beispiel, weiß Heinz-Dieter Edelkötter beizusteuern. Es ist die von einer jungen Erwachsenen, deren sozialtherapeutische Betreuung rund eine halbe Million Euro gekostet haben dürfte und von der man heute lediglich weiß, dass sie irgendwo auf der Straße lebt, im Kreis Unna oder anderswo im Bundesgebiet. Edelkötter, seines Zeichens Jugendamtsleiter der Stadt Unna, hat sie sich von einem Kollegen erzählen lassen, doch ähnliche Beispiele kennt er aus eigener Praxis auch.

Nicht zufriedenstellend

Als Steuerzahler mag man die letztlich nutzlose Ausgabe beklagen, gravierender jedoch bleibt, dass ein Mensch keinen zufriedenstellenden Platz in unserer Gesellschaft fand und die Chancen, dass dies noch geschieht, rapide schwinden. Denn was bei Kindern und Jugendlichen, vielleicht sogar schon bei ihren schwangeren Müttern in Krisensituationen versäumt wurde, lässt sich in späteren Lebensjahren kaum noch reparieren. Auf jeden Fallkommt reparieren teuer, und „reparierte“ (um im Bild zu bleiben) Menschen sind gewiss nicht die glücklichsten.

Damit unser System der frühzeitigen und effektiven Betreuung, das ja nicht von vornherein schlecht ist, noch besser arbeitet, hat das Land das Projekt „Kein Kind zurücklassen“ aus der Taufe gehoben. Gestern trafen sich in Unnas Erich-Göpfert-Stadthalle Vertreter der beteiligten Institutionen, um in einem ersten Schritt mehr über das Projekt und in Sonderheit den Schwerpunkt „Brücken für Familien“ zu erfahren, den Johannes Schnurr als externer Projektbegleiter betreut.

Viele sind beteiligt, wenn es um das Wohl der Familien, der Jugendlichen und der Kinder geht – Jugendhilfe, Gesundheitsämter, Bildungseinrichtungen, Sozialleistungsträger und weitere Institutionen. Sie sollten, längst ist diese Erkenntnis gereift, mehr und öfter miteinander reden, sich „vernetzen“, kommunale Präventionsketten schaffen. Vor allem der „vertikale Austausch“ ist verbesserungswürdig, was beispielsweise bedeutet, dass die (horizontale) Kommunikation zwischen Kindergärten optimal abläuft, während es beim (vertikalen) Kontakt zwischen Kindergarten und Grundschule hakt; dass beispielsweise das Wissen um besondere Probleme eines Kindes nicht weitergereicht wird und dies dem Kind in der Folgeinstitution Nachteile beschert, weil es nicht die angemessene Förderung erhält.

Kein Mangel herrscht an Parolen: die „Chancengerechtigkeit“ soll verbessert werden, die Förderung „ganzheitlich“ ansetzen. Man will „die Eltern stark machen“ und die Perspektive ändern, weg vom behördlichen Blick auf den Verwaltungsvorgang, hin zum Kind und seinen Bedürfnissen. Mehr Personal gibt es allerdings nicht, die öffentlichen Kassen sind bekanntlich leer.

Unna unter den Auserwählten

Der Kreis Unna und die Jugendämter der Städte des Kreises mit Ausnahme Schwertes tragen das Modellvorhaben. 52 Kommunen bewarben sich um die Teilnahme an „Kein Kind zurücklassen“, 18 wurden ausgewählt. Unter ihnen sind nur drei Kreise – neben Unna Düren und Warendorf –, in denen sich die Probleme aufgrund einer flächigeren Siedlungsstruktur oft anders darstellen. Die wissenschaftliche Auswertung des Projekts hat die Bertelsmann-Stiftung übernommen.