Dorsten. . Sarah Lehmann erkrankte als 14-jährige an Krebs. Sechs Jahre später hat sie ihre Krankheit überwunden.

Der rotblonde Pony hängt Sarah Lehmann frech ins Gesicht, von einem Schneidezahn blinzelt ein kleiner Glitzerstein, sie trägt ein paar Hemdknöpfe offen, versteckt die handlange und fingerbreite Narbe überm Brustbein nicht. Dort und an der Seite haben die Ärzte Sarah zweimal aufgeschnitten, um den Krebs aus ihrer Lunge zu entfernen und sie haben ihr einen Oberschenkelknochen und ein Kniegelenk aus Titan eingepflanzt, um einen 25 Zentimeter langen Knochentumor zu bekämpfen. Die 20-Jährige lacht. „Was soll ich sonst machen?”, sagt die selbstbewusste junge Frau. Dass Leute auf ihre Narben starren, „amüsiert mich eher.“

Im Dezember 2006 hat die WAZ erstmals über Sarah Lehmann berichtet. Zuerst anonym in der Spendenaktion „Adventslichter”. Sie lebte in einer Wohngruppe der Caritas, weil auch ihre Mutter an Krebs erkrankt war. Im September des gleichen Jahres stand der Teenager selbst vor der Diagnose („an einem Freitag, dem 13. Ich hab gelacht und zugleich geweint“) und einer ungewissen Zukunft. „Aber ich bin ein Typ, der so eine Kampfansage annimmt. Ich hab‘ gute Laune und viel Power“, sagte die damals 14-Jährige. Spender halfen vor sechs Jahren, die vielen Kosten zu bewältigen, die der Krebs und die Klinikaufenthalte mit sich brachten.

„Du bist doch das Mädchen mit dem Krebs. Ich hab’ für Dich gespendet“

Danach hat sie noch zweimal von sich erzählt. In der Zeitung. Diesmal mit Bild und Namen. Und wurde oft angesprochen. „Du bist doch das Mädchen mit dem Krebs. Ich hab‘ auch für Dich gespendet“, sagte mal eine ältere Dame mitten in der Stadt. Damals, als Teenager, wäre Sarah am liebsten im Boden versunken. Heute freut sie sich über die Anteilnahme.

Um es vorweg zu nehmen: Sarah hat den Kampf gewonnen, so weit man das medizinisch beurteilen kann. Sie hat ihren Abschluss an der Gesamtschule Wulfen geschafft, lebt inzwischen in Holsterhausen in einer eigenen, kleinen Wohnung und macht nun eine Ausbildung. Medizinische Fachangestellte lernt sie in einer Schermbecker Praxis. „Das ist genau das, was ich wollte. Und es macht mir total Spaß.“ Sie möchte danach gerne in der Kinder-Onkologie in der Uniklinik Münster arbeiten und sich dort weiter bilden. „Das ist mein Traum.“ Ausgerechnet. Dort, wo sie selbst Patientin war. Aus der Gruppe von damals „sind alle tot. Ich bin die einzige Überlebende“, berichtet sie.

Medizin war ihr Leben und ihr Schicksal. Und soll es bleiben. „Das hat mich schon als Kind fasziniert“, erzählt sie. „Das schöne ist: Du lernst nie aus. Es gibt immer wieder neue Therapien und Krankheiten. Und: Du kriegst immer eine Stelle.“

Die Jahre zuvor waren nicht leicht. Die erste Operation Anfang 2007. Fast ein Jahr fehlt sie in der Schule, wiederholt ein Jahr. 2009 entfernen die Ärzte eine weitere Metastase aus der Lunge. Es folgen noch mal zwei Jahre Medikamenten-Therapie. Den Schulabschluss macht sie unter der Chemo. Beißt sich durch. Will nicht noch ein Jahr verlieren. „Ich wollte mit 19 nicht mehr mit 15-Jährigen in einer Klasse sitzen.“ Schafft die Fachoberschulreife mit Qualifikationsvermerk.

Sie ist der Gesamtschule Wulfen und ihrer Klasse dankbar. „Ich hab Hausunterricht bekommen. Konnte trotz schlechter Blutwerte mit auf Klassenfahrt gehen. Und in der Zehnten haben mich meine Mitschüler zur Klassensprecherin gewählt – obwohl ich da den Rückfall hatte.“ Ihre engsten Freunde heute stammen fast alle aus dieser GSW-Klasse. „Die standen immer voll hinter mir.“

Heute ist Sarah eine junge Frau, die ihrer Krankheit ins Gesicht lacht

Sarah heute ist eine selbstbewusste junge Frau, die ihrer Krankheit ins Gesicht lacht. Die ihren Rückfall 2009 „witzig“ fand, weil die Metastase in der Lunge keine neue war, sondern eine alte. Die ihre Narben zeigt. Die sich mit Behörden rumärgert, um mit der Knieprothese den Führerschein machen zu dürfen. Für eine Sonderprüfung („einmal Gas und Bremse treten“) hat sie 180 Euro bezahlt. Schließlich die Erlaubnis bekommen und die Prüfung bestanden. Am Tag vor ihrem 19. Geburtstag. „Das war mein Geschenk an mich selber“, sagt sie. Ein Auto will sie kaufen, wenn sie nach der Ausbildung eine feste Stelle hat. Das Modell ist schon gewählt. Ein Smart. Klein, flink, passt in jede Parklücke. „Den will ich selbst finanzieren“, blickt Sarah nach vorn.

Trotz ihrer Vorgeschichte führt sie ein bescheidenes, gut organisiertes Leben. Sarah konnte aufgrund ihrer Krankheit länger in der Jugendwohngruppe der Caritas bleiben. Genießt es nun, in der eigenen Wohnung zu leben („es ist ruhiger und es gibt nicht so viele Vorschriften“), lebt von ihrem Azubi-Gehalt, Halbwaisenrente und Kindergeld. „Ich komme supergut über die Runden“, sagt sie. In diesen Tagen ist Sarah sozusagen auf Tournee. Sie will alle besuchen, die ihr in der schweren Zeit beigestanden haben. Will zeigen: Hey, das bin ich. Mir geht’s gut. Ich hab’s geschafft. Mit ihrem unwiderstehlichen Lachen stand sie vor ein paar Tagen auch in der WAZ-Redaktion.

Sarah Lehmann ist 20, hat sechs Jahre Kampf hinter sich. Fühlt sich erwachsener als Gleichaltrige. Und hat sich das Lachen eines gut gelaunten Mädchens bewahrt. Kichert den Krebs einfach weg. Es scheint zu funktionieren. Oft muss sie ihren Ausweis vorzeigen. Weil keiner glaubt, dass sie schon 16 ist.