Werdohl. .

38 Jahre Erzieher – Dieter Keßel hat über die Jahrzehnte den steten Wandel in der Bildungspolitik hautnah erlebt. Jetzt, da der 40. Geburtstag der „Arche Noah“ vor der Tür steht, erinnert sich der Leiter, wie eng die Kindertageseinrichtung auch mit seinem eigenen Lebenslauf verknüpft ist.

„Das Jahrhundert des Kindes“ rief der damalige Bundestagsabgeordnete Halfmeier 1972 bei der Einweihungsfeier für den neuen Kindergarten aus. Für Werdohl damals fast keine Übertreibung: Denn gleichzeitig öffnete auch die Awo-Kita in Pungelscheid ihre Pforten. Auf der Königsburg gab es nun drei Gruppen zu je 30 Kindern, darunter zwei „Familiengruppen“ und eine für Vorschulkinder.

Dieter Keßel hatte sich zu diesem Zeitpunkt gerade entschlossen, nicht mehr Sportlehrer werden zu wollen, sondern sein Talent bei der Erziehung kleiner Kinder einzusetzen. Pädagogische Neigungen bewies er beim Internatsaufenthalt: Mit einem auffälligen Schüler ausgerechnet habe man ihn zusammen in ein Zimmer gesteckt. „Den habe ich gut in den Griff bekommen“, erzählt der 59-Jährige lachend. In der Erzieherschule in Hagen saßen Anfang der 70er Jahre 26 Frauen. „Ich war der einzige Mann.“ Ein Mann kam später noch dazu. „Dieser Schnitt ist bis heute so geblieben.“

Als er dann in der Kita an der Waldstraße sein Anerkennungsjahr machen wollte, rannte er offene Türen ein: „Probieren wir es doch einmal mit einem Mann im Kindergarten“, sagte ganz liberal die Leiterin Brigitte Danisch.

Als Brigitte Danisch 1979 in den Mutterschutz ging, rückte Dieter Keßel auf. Er gibt auch unumwunden zu: Die Leitungsstelle habe er sich von vornherein ausbedungen. Das Auskommen mit dem Einkommen – so lange sich der Mann als Ernährer seiner Familie betrachte, werde die Zahl der männlichen Erzieher in Kitas wohl nicht rapide steigen. Wobei er die Arbeit in den Kitas, die immer umfänglicher wird, grundsätzlich für unterbewertet hält. „Wir haben uns jahrelang zu schlecht verkauft.“

Und dann wird der Mann mit den kleinen lachenden Augen plötzlich ernst. „Das verdirbt einem die Laune“, sagt Dieter Keßel plötzlich, als er so über das Tagesgeschäft eines Kindergartenleiters nachdenkt. Er habe in den 1970er-Jahren einmal mit Kindern arbeiten wollen, heute verbringe er mehr als die Hälfte der Zeit mit Bürokratie, Berichten, Dokumentierungen, Gutachten. „Früher konnte man Erzieher aus dem Bauch heraus sein.“

Dabei ist er gar nicht einmal eine Verfechter von „Kindergarten total“, von 45 Wochenstunden Betreuung für jedes Kind, am besten noch Fremdsprachen und Instrumente erlernen inklusive. Den „guten Kompromiss“ zwischen Kita und Zuhause hält er für wichtig. Erkennbar sei aber der Trend zu einem Mehr an Kita-Betreuung: „Viele haben Angst: Mein Kind versäumt etwas.“ Dabei könnten gerade im ländlichen Raum Kinder noch gemeinsam mit Eltern und Großeltern ebenso wichtige Naturerfahrungen machen. Da sei er durchaus konservativ eingestellt: „Wir erleben da einen Rückschritt, was die Werte anbelangt.“

Werte – es ist wohl nicht ganz verkehrt zu sagen, dass Dieter Keßel ein klein wenig mit seinem Kindergarten verheiratet ist. Seine Frau Monika, selbst Erzieherin, lernte er in der Kita kennen. Eine zweite Liebeserklärung gilt der Kita: „Wir haben selbst keine Kinder – aber die haben wir ja auch nicht vermisst...“.