Lüdenscheid. .

Zwei Tage in der Notfallpraxis des Klinikums Hellersen, fünf auf Bereitschaft für Hausbesuche – sieben Tage pro Jahr im Schnitt ist etwa ein Arzt aus Lüdenscheid „dran“ mit Notfalldienst. Oder besser: Er wäre „dran“. Denn: „Ein großer Teil lässt sich vertreten“, erklärt der Lüdenscheider Internist Dr. Hansjoachim Lange. Von ihm selbst oder anderen, sogenannten Pool-Ärzten.

Das Tauschgeschäft

Das mit den Vertretungen hat verschiedene Gründe. Einer davon: Ärzte bestimmter Fachrichtungen wie etwas Psychologen sind für krasse Notfall-Einsätze mit Wundbehandlung eben nicht so vorteilhaft. Andere freuen sich über die deutliche Entlastung. Wenn etwa ein Chirurg, der eigentlich Notfall-Nachtdienst schieben müsste, am nächsten Morgen wieder eine schwierige Operation vor sich hat. Oder ein Hausarzt, in dessen Praxis ohnehin schon der Terminkalender überquillt. Für diese Fälle „habe ich da so einige Kollegen an der Hand, die gerne Dienste machen möchten“. Die vermittelt Lange dann. Oder er ist gleich selbst unterwegs. Irgendwann in den nächsten Wochen soll die Vermittlung auch elektronisch laufen – über eine Ärzte-Tauschbörse im Internet. Die ist gerade im Aufbau.

Die Hausbesuche

„Ich selbst fahre praktisch jede Woche bis zu vier Tage Hausbesuche“, erzählt Lange. 70 bis 80 Kilometer tagsüber, 300 bis 400 Kilometer nachts – „das kann da schon mal zusammenkommen“, sagt Lange. Fünf bis sieben Hausbesuche am Stück – keine Seltenheit. Und so ein Dienst in der Notfallpraxis des Klinikums kann auch bis zu 14 Stunden dauern. Wie’s halt kommt mit Rat suchenden Patienten.

Wenn Lange endlich beim Patienten daheim ankommt, oft nach Stunden, ist der manchmal schon gar nicht mehr da. Sondern vielleicht schon in der nächsten Notfallpraxis. Von Verwandten gefahren. Oder es ging mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus. Oder es lief wie neulich Nacht in Altena mit jener vermissten Dame, die Polizeibeamte fanden und direkt in die Landesklinik nach Hemer brachten. Dennoch: „Ich fahre eigentlich fast immer raus. Denn man kann unmöglich am Telefon entscheiden, wie ernst es wirklich ist“, findet Lange.

Der Fahrdienst

Dass die Ärzte inzwischen nicht mehr auch noch selbst ans Steuer müssen, hat die Kassenärztliche Vereinigung so festgelegt.

Der Internist ist froh, dass ihn für die Hausbesuche ein Fahrer der Johanniter zu den Patienten bringt. „Da ist jetzt ein starker Mann dabei, der auch mal anpacken kann.“ Und: „Ich bin auch öfter schon bedroht worden“, erzählt er. Von betrunkenen Patienten. Oder aggressiven Demenz-Kranken. Oder von Menschen, die einfach mit den Nerven fertig waren. Äußerst schmerzhafte Wirbelsäulen-Brüche hat Lange oft zu verarzten. Dann aber wählt auch er die 112.

Die Bezahlung

Und wie läuft das mit der Bezahlung? „Die vereinbart man dann direkt mit dem Kollegen, den man vertritt“, erläutert Lange. „Dem schreibe ich dann eine Rechnung.“ Oder er rechnet die Leistung pauschal über einen Vertrag mit der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe ab. Je nachdem.

Der Erfahrungswert

Seit 1. August 1962 ist er berufstätig. In diesem Jahr also runde 50 Jahre. Berufsjubiläum für den Senior. Und? Hat er’s gefeiert? Nein: „Ich bin die ganze Nacht durchgefahren.“ Dienst ist Dienst. So hat es Lange auch bei seinem 75. Geburtstag gehalten.

Vor einigen Jahren gab’s noch keine zentrale Notfallpraxis im Klinikum samt Sprechstundenhilfen. Da schob Lange seinen Dienst in der Praxis jenes Kollegen, den er gerade vertrat. „Und meine Frau machte den Telefondienst“, schmunzelt Lange. Auch seine drei Töchter, inzwischen erwachsen, ließen sich gerne als Hilfskräfte einspannen. „Im Moment schaffe ich etwa 60 Stunden pro Woche“, sagt Lange. „Früher, als junger Arzt, waren es noch 80 bis 120.“ Der Senior hat also einen Gang runtergeschaltet, dürfte mit diesem Pensum aber immer noch deutlich auf der Überholspur sein.

„Mir macht Notdienst noch immer Spaß“, resümiert Lange. „Ich empfinde meinen Job einfach auch als Hobby.“ Eines, bei der man vielen Menschen begegnet: „Ich kenne mittlerweile wohl mehr als 10 000 Wohnungen hier im Kreis. Und alle Pflegeheime.“