Halver. .
Als das Telefon an diesem Vormittag klingelt, rechnet die alte Dame mit allem – aber nicht damit, dass sich am anderen Ende eine schluchzende junge Frau meldet, die behauptet, ihre Enkelin zu sein, und sie unter Tränen um Hilfe anfleht.
Dass diese Hilfe darin besteht, der Anruferin all ihre Ersparnisse zukommen zu lassen, kommt der alten Dame leider erst verdächtig vor, als es zu spät ist. Eine Serie sogenannter Schockanrufe verzeichnet die Polizei derzeit – und gibt Tipps, wie man sich vor den Betrügern schützt.
Ein regelrechter krimineller Flächenbrand zieht sich seit einigen Monaten quer durch Deutschland, wie Polizeimeldungen belegen. Derzeit seien die Täter auch im südlichen Märkischen Kreis aktiv, sagt Polizei-Pressesprecher Dietmar Boronowski im WR-Gespräch. „Uns ist aus Halver und Schalksmühle bislang nichts bekannt, aber allein seit Montag gingen Anzeigen im Bereich Lüdenscheid, Kierspe, Meinerzhagen und Iserlohn ein.“
Zentraler Opfertyp: Zuwanderer aus ehemaligen GUS-Staaten. „Die Täter suchen sich gezielt diese Menschen aus, sprechen auch gleich Russisch mit ihnen.“
Die Masche – eine Abwandlung des berüchtigten „Enkeltricks“ – ändere sich bis auf Kleinigkeiten nicht. Immer wird es dramatisch, immer geht es quasi um Leben und Tod. So auch in dem Fall, in dem die junge Frau anrief. „Die vermeintliche Enkelin erzählte vehement weinend, dass sie schwer auf der Treppe gestürzt sei.
Damit nicht genug, habe sie auch noch ein kleines Mädchen bei sich gehabt, das sie beim Sturz mit sich gezogen und das sich dabei so schwere Kopfverletzungen zugezogen habe, dass nun eine kostspielige OP nötig sei. Und fast im selben Atemzug dann die Frage, wie viel Bargeld ,Oma’ im Haus habe.“
Ein anderes Mal sei der Anrufer männlich gewesen, habe behauptet, ein in Russland lebender Sohn zu sein und jemanden angefahren zu haben. Aber was ist, wenn der oder die Angerufene gar keinen Sohn hat? „Die Täter starten in der Regel einen Versuch ins Blaue, denn in welcher russischen Familie gibt es keinen Enkel?“, so Boronowski. „Wenn das potenzielle Opfer doch mal stutzt oder sagt: ,Ich habe gar keinen Sohn!’, wird aufgelegt.“
Und wie geht es im – für die Täter – erfolgreichen Fall weiter? Auch hier bleibt die Vorgehensweise gleich. „Bei der gestürzten Enkelin wurde der Geschädigten mitgeteilt, gleich käme ein Bruder des kleinen Mädchens vorbei, um das Geld für die OP abzuholen“, so der Pressesprecher. „Keine zwei Minuten später klingelte es, und vor der Tür stand ein Mann, Handy am Ohr, dem die tief betroffene Angerufene mehrere tausend Euro aushändigte.
Zudem sollte sie einen Zettel unterschreiben. Doch hier weigerte sich die Frau, da sie nicht gut sehen könne und deshalb nichts einfach so unterschreibe.“
„Lukratives Geschäft“
Moralisch verwerflich? Sicherlich. Aus Sicht der Täter allerdings ein lukratives Geschäft bei wenig bis gar keinem Risiko, immerhin seien 99,9 Prozent der Opfer ältere Menschen, resümiert Boronowski. „Und für ein schlechtes Gewissen braucht man erst mal ein Gewissen.“