London. Zweimal Silber an einem Tag - das gab es bei Olympia für die deutschen Turner seit Jahrzehnten nicht mehr. Marcel Nguyen und Fabian Hambüchen haben dem deutschen Turnerbund die beste Bilanz seit den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona beschert.
Mit seinem neuen Spitzen-Duo Marcel Nguyen und Fabian Hambüchen hat das deutsche Turnen die olympischen Wettbewerbe von London am Dienstag endgültig zu seinen Festspielen gemacht: Keine zwei Stunden, nachdem Nguyen (Unterhaching) am Barren wie schon im Mehrkampf die Silbermedaille gewonnen hatte, tat es ihm Hambüchen (Wetzlar) am Reck gleich. Der Weltmeister von 2007 wurde für einen fast fehlerfreien Vortrag am Dienstag mit 16,4 Punkten belohnt und musste lediglich dem Niederländer Epke Zonderland (16,533) den Vortritt lassen. "Jetzt kann es mit dem Turnen bis Rio 2016 richtig abgehen", jubelte Nguyens Trainer Valeri Belenki.
"Silber ist ein Hammergefühl, ich bin einfach überwältigt und superglücklich", sagte Hambüchen, der seinen Zustand als "völlig durch" beschrieb. Bei den Spielen in Peking vor vier Jahren hatte der 24 Jahre alte Hambüchen Bronze geholt. Für den Deutschen Turner-Bund (DTB) war es die insgesamt dritte Medaille in London: eine Bilanz, die es seit 1992 in Barcelona nicht mehr gegeben hatte. Bronze im hochkarätigen Finale am Königsgerät ging vor 16.500 Zuschauern in der North Greenwich Arena an Titelverteidiger und Weltmeister Zou Kai aus China (16,366).
Hambüchen hatte die Halle betreten, als Nguyen schon Silber um den Hals baumeln hatte - ließ sich aber nicht unter Druck setzen. Er turnte die Sicherheits-Übung mit der Schwierigkeitsnote 7,5 schwungvoll und sicher durch und schrie nach der Landung und einem kleinen Hüpfer seine Freude heraus - 16,4 Punkte, Platz eins im Zwischenklassement.
"Der fliegende Holländer" ist einfach zu stark
Direkt nach Hambüchen allerdings lieferte der niederländische Super-Spezialist Zonderland seine atemberaubende Flugshow fast fehlerfrei ab und fiel anschließend seinem Rivalen in die Arme. 16,533 Punkte für Zonderland; Gold und Silber für die befreundeten Kontrahenten. Hambüchen, über Jahre bester deutscher Turner, hatte sich mit seiner Reckkür zurück in die Weltklasse geturnt: "Das ist meine wertvollste Medaille überhaupt. Weltmeister ist toll, aber Olympische Spiele noch einmal was anderes. Und es war die beste Übung, die ich je geturnt habe, alles auf den Punkt."
Mit dem in London in die Weltklasse vorgestoßenen Nguyen bildet er jetzt ein starkes Spitzenduo; beide machten klar, dass sei beileibe nicht genug vom Turnen haben. Hambüchen ließ sich sogar zu einem leicht weiten Ausblick hinreißen: Die Plätze sieben, drei und zwei hat er jetzt in drei olympischen Reck-Finals schon erreicht, da sei ja klar, was folgen müsse. "Ein Scherz", sagte Hambüchen, "ich bin gerade ziemlich euphorisch."
Nguyen schaute immer wieder ungläubig auf seine zweite olympische Medaille binnen einer Woche. "Ich bin überglücklich, damit konnte ich nie rechnen", sagte er: "Ich wusste aber, dass ich es kann, die erste Medaille hat natürlich geholfen."
Der zweimalige Barren-Europameister hatte für seine fehlerfreie Kür - wohl die beste seiner Karriere - 15,8 Punkte erhalten und sich als erster Deutscher seit 24 Jahren eine Medaille an diesem Gerät gesichert. Im Hexenkessel der wuchtigen Londoner Arena musste er sich nur dem ehemaligen Weltmeister Feng Zhe aus China (15,966) geschlagen geben. Bronze ging an Hamilton Sabot aus Frankreich (15,566).
"Coach, mach dir keine Sorgen"
Belenki, der temperamentvollen Frohnatur an der Seite des selbst mit zwei Medaillen coolen Nguyen, fiel es deutlich leichter, den Gefühlen Lauf zu lassen. "Unfassbar", sagte der Stuttgarter Trainer. Das offen ausgesprochene Ziel sind die nächsten Spiele in Rio 2016. "Ich locke ihn immer mit kleinen Wetten an die Arbeit", verriet Belenki über den Alltag mit dem manchmal wohl zu entspannten Nguyen. Dessen Coolness zahlt sich dafür im Wettkampf aus: "Er hat mir vorher gesagt, Coach, mach dir keine Sorgen", sagte Belenki.
Nguyen machte mit seinem zweiten Coup genau wie Hambüchen die schwache Form des im Vorfeld hochgehandelten Vize-Weltmeisters Philipp Boy (Cottbus) endgültig vergessen. In der Ausführung hatte er mit 9,0 Punkten sogar die beste Übung gezeigt, die um zwei Zehntel geringere Schwierigkeitsnote als Feng Zhe kostete ihn aber den Olympiasieg. "Wir haben die sichere Variante gewählt, und das war richtig", sagte Belenki. (dapd)