Lünen. . „Stadtführung für Jedermann“ gibt Einblick in das Leben in Lünen vor 140 Jahren

Das kaiserliche Postamt der Stadt Lünen von 1826 besaß 47 Beamte und Beamtinnen und genau zwei Toiletten. Aber nicht, um Mann und Frau voneinander zu trennen. Die eine Toilette war für Beamte, die andere stand den Unterbeamten zur Verfügung. Der Dienstgrad sollte also über die Benutzung der Toiletten entscheiden.

Solche und weitere Anekdoten hatte Gästeführerin Ursel Rudolph bei der vierten „Stadtführung für Jedermann“ parat, an der rund 50 Interessierte teilnahmen.

Während sich die vorherigen Stadtführungen mit dem Mittelalter beschäftigt hatten, ging es dieses Mal um die neuere Geschichte Lünens: Zwischen 1870 und 1930 entwickelten sich viele Städte zu pulsierenden Industriestandorten.

Die Landwirtschaft und das Handwerk wurden immer mehr verdrängt, Kohlebergbau und die Eisenindustrie nahmen an Bedeutung zu. So auch in Lünen. Während vorher hauptsächlich die südliche Seite der Lippe bewohnt war, siedelten sich nun zunehmend auch auf der nördlichen Seite die Menschen an.

Mit neuen Arbeitsplätzen kamen schließlich auch mehr Leute in die Stadt. In Zahlen sah das so aus: Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die Stadt Lünen 2500 Einwohner, 1915 lebten bereits 14500 Einwohner in Lünen. Und das war erst der Anfang, die Stadt entwickelte sich zu einem wichtigen Handelsstandort und vor allem die Lippe trug zu diesem Wandel bei.

Erste Station der Stadtführung war daher das Lippeufer. Von dort aus berichtete Gästeführerin Rudolph über die strukturellen Veränderungen in Lünen. So wurden zum Beispiel die Eisenhütten, wie die Westfalia aus dem Jahr 1826, zu bedeutenden Wirtschaftszweigen in der Lippestadt. Zahlreiche Facharbeiter kamen nach Lünen, um die neu entstandenen Arbeitsplätze zu füllen.

Aber nicht nur die Arbeit war den Menschen wichtig, sie wollten unterhalten werden. So entstanden immer mehr Geschäftshäuser, Gaststätten und auch das erste Kino fand 1910 seinen Platz in Lünen.

Es kam sogar so weit, dass Lünen den Nachbarn Dortmund übertrumpfen konnte. Aufgrund der „regen Lippeschifffahrt“ ab 1823 hieß die Frachtadresse von da an nur noch „Dortmund bei Lünen“, so Rudolph.

Weiter ging es auf die andere Seite der Lippe, wo die in der Jahrhundertwende neu erbaute St. Marien-Kirche besucht wurde. Mit dem Bevölkerungszuwachs wuchs nämlich auch die katholische Kirche in Lünen, so dass die einstige Kirche an gleicher Stelle doppelt so groß neu gebaut wurde. Der 82 Meter hohe Kirchturm war zur Jahrhundertwende eins der höchsten Gebäude Deutschlands und sollte Lünens Streben nach einer großen Stadt repräsentieren.

Vorbei an den alten Fabrikantenvillen in der Erzbergerstraße ging es schließlich zur alten Sparkasse und der kaiserlichen Post an der ehemaligen Kreuzung der Borker- und Cappenbergerstraße. Mit der ersten Sparkasse um 1853 wollte man den Menschen helfen, ihr Geld besser anzulegen und zu sparen. Eine Erinnerung aus dieser Zeit sind die sogenannten „Heimspardosen“, die nur in der Sparkasse selbst geöffnet werden konnten.

Der Bahnhof, die Persiluhr und schließlich der Tobiaspark waren weitere Orte, die in der Stadtführung besucht wurden.

Noch bis Oktober können Interessierte an jedem ersten Sonntag im Monat an den „Stadtführungen für Jedermann“ teilnehmen. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich, Erwachsene zahlen vier Euro, begleitende Kinder sind kostenlos dabei.