Grietherbusch. . Unter Wasser findet ein Verdrängungskampf statt: Die Sieger stehen schon fest. Einheimische Arten sind auf dem Rückzug.
Die Welt wird ärmer, ärmer an Tier- und Pflanzenarten, womit auch die genetische Vielfalt und die Vielfalt von Ökosystemen weltweit abnimmt. Manchmal passiert das fast völlig unbemerkt – unterhalb der Wasseroberfläche zum Beispiel. „Bei Fischen fällt Anglern ja noch den Rückgang der Arten auf. Anders ist das aber bei den Makrozoobenthos, der Gesamtheit der am Gewässerboden lebenden Organismen“, sagt Dr. Jost Borcherding, Leiter der Außenstelle des Zoologischen Instituts der Universität Köln mit Sitz in Grietherbusch. Die Rede ist von Muscheln, Krebsen und Insekten.
Das Alarmierende: Bei Krebs und Muschel sind die einheimischen Arten nur noch in geringen Mengen vorhanden. Es sind vor allem zwei eingewanderte Makrozoobenthos-Arten, die hier ganze Arbeit geleistet haben: die Körbchenmuschel (Corbicula fluminea) und der Höckerflohkrebs (Dikerogammerus villosus). Letzterer wurde 1995 hierzulande erstmals nachgewiesen, die Körbchenmuschel schon 1988.
„Kommt so eine neue Art zu uns, vermehrt sich diese in aller Regel mit ungeheurer Geschwindigkeit“, so Borcherding. Der Fachmann spricht von der Boom-Phase. Grund hierfür ist, dass die möglichen Fressfeinde ihre Opfer einfach nicht kennen. Das ändert sich aber in aller Regel innerhalb von einem bis drei Jahren. Dann wird der Neuling auch zum Opfer. Die Experten reden von der Bust-Phase. Bust kommt aus dem Englischen, bedeutet „kaputt gehen“.
Bei Höckerflohkrebs und Körbchenmuschel hat diese Bust-Phase aber nie eingesetzt. Sie befinden sich ungebremst in der Boom-Phase. „Untersuchungen im Rhein haben gezeigt, dass beim Makrozoobenthos mehr als 90 Prozent der Biomasse aus invasiven, also hier nicht heimische Arten, besteht.“ Kurz: Die Reichhaltigkeit der Natur geht verloren. Das passiert nicht nur hier, sondern weltweit. Gegenzusteuern ist fast unmöglich: weil Wasserwege verbunden, Tiere durch Menschen und Pflanzen eingeschleppt oder bewusst angesiedelt wurden...
Es geht nur noch um Schadensbegrenzung. „Was wir brauchen, ist eine vielfältiges, strukturreiches und dynamisches System, wie das beispielsweise eine natürlich Auenlandschaft bietet“, sagt Borcherding. Niederländer seien weit weniger aktiv im Umweltschutz. „Aber effektiver, weil sie nicht wenige kleine Maßnahmen umsetzen, sondern wenige große“, sagt er. Und nennt als Beispiel die Millinger Waard, wo sich nach dem Abbau von Ton eine dynamische Auenlandschaft entwickelt hat – unterstützt durch die Ansiedlung von Bibern, Galloway-Rindern und Konikpferden. „Während man bei uns eine einzelne alte Linde oder eine bäuerliche Kulturlandschaft schützt, die es ja gar nicht mehr gibt“, kritisierte Borcherding. Die Höfe hierzulande seien längst zu Agrarfabriken mutiert. „Was nicht den Landwirten anzulasten ist, sie reagieren auf das Verbraucherverhalten“, sagt er. Der Markt verlange, dass immer mehr und immer billiger produziert werde.
Zurück zu Körbchenmuschel und Höckerflohkrebs. Beide haben sich perfekt an ihre Umgebung angepasst. Aber: Die Körbchenmuschel setzt heimische Arten wie die Erbsenmuschel durch einen wesentlichen Vorteil matt. Wenn es Notzeiten gibt, kann sie 90 Prozent ihres Körpergewichtes einbüßen ohne abzusterben.
Der Höckerflohkrebs hat eine andere Strategie. Er ist nicht wählerisch, was die Nahrung anbetrifft. Während heimische Flohkrebse nur Teile des von der Natur gedeckten Tisches genießen können, frisst er, was ihm vors Maul kommt.
„Wir brauchen ein Umdenken nicht nur beim Naturschutz, sondern auch bei der Industrie“, mahnt Borcherding. Der Agrarindustrie müssten Grenzen gesetzt werden. Beispielsweise müssten der Verarmung der Böden infolge von Monokulturen, der Verminderung der Sortenvielfalt und dem Schadstoffeintrag in die Gewässer und in das Grundwasser Einhalt geboten werden. In diesem Zusammenhang begrüßt er das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofs, die genetische Vielfalt zuzulassen. Und nicht einfach aus Profitgier nur eine Apfel- oder eine Kartoffelsorte zuzulassen und die anderen mit Spritzmitteln abzutöten. Damit die Welt ihren (Arten-)Reichtum behält.