Plettenberg. .
Rund um die Uhr in Plettenberg – dabei begleite ich 24 Stunden lang Plettenberger Bürger in ihren Berufen. Im Dreistundentakt wechsele ich die Arbeitsplätze und gebe so Einblick in acht verschiedene Tätigkeiten der Vier-Täler-Stadt.
Um 0 Uhr startet mein 24-Stundentag mit der WR-Zeitungsbotin Andrea Gäde. Die 54-Jährige ist Oberbotin in Plettenberg – und das seit 23 Jahren. „Das bin ich so lange wie noch keiner hier“, sagt sie grinsend, als wir uns um 0 Uhr treffen. Bereits um halb zwölf ist sie aufgestanden, um rechtzeitig zur ersten Lieferung die druckfrischen Zeitungen zu verteilen. Zu arbeiten während die meisten schlafen, macht ihr aber nichts aus. „Man gewöhnt sich dran“, meint Andrea und zeigt mir sofort die positiven Seiten auf. Sie sei in Bewegung, habe frische Luft – halt alles, was einen gesund halte. „Spazieren gehen brauche ich nach der Arbeit jedenfalls nicht mehr“, sagt die Plettenberger Oberbotin und lacht.
Als Oberbotin springt sie überall da ein, wo ein anderer Bote im Urlaub, krank oder Not am Mann ist. Ihr erster von insgesamt fünf Bezirken heute ist Selscheid. Mit 17 Exemplaren ist es eher ein kleinerer Plettenberger Bezirk. „Ich fange immer dort an, wo die Zeitungen als erstes angeliefert werden, dann die Hauptstraßen, damit man dem Berufsverkehr am Morgen entkommt“, erläutert sie das ausgeklügelte System.
Als wir am Ablageplatz in Selscheid ankommen, liegt der Zeitungsstapel für Andrea schon bereit. Anbei der Zettel, der ihr alles verrät, was sie wissen muss. „Hier steht welcher Bezirk das ist, wer heute keine Zeitung möchte oder was sich sonst geändert hat“, erklärt sie und zeigt mir das Din-A-4-Blatt. Eine weitere Liste verrät ihr, wer überhaupt eine Zeitung bekommt. „Nach drei Tagen kann man das aber schon auswendig.“ Nachdem die Zeitungen in ihren Corsa eingeladen sind, fährt sie von Leser zu Leser und wirft die neueste Ausgabe der WR in die Briefkästen. Damit es schneller geht, erledigt Andrea alles mit dem Auto. „Normalerweise braucht man für diesen Bezirk ungefähr eine Stunde“, schätzt sie mit ihrer 23-jährigen Berufserfahrung ab. Doch schon nach einer knappen halben Stunde ist Andrea mit ihrer Runde in Selscheid fertig und ist dabei nicht einen Weg doppelt gefahren. Die Runde ist perfekt durchdacht und effizient – aber wen wundert das bei der Berufserfahrung. „Über die Jahre habe ich mir für jeden Bezirk meine eigene feste Route angelegt“, erklärt sie.
Auf dem Weg zum nächsten Ablageplatz habe ich Gelegenheit ein bisschen mehr über die Plettenberger Oberbotin und ihren Job zu erfahren. „Stressig und anstrengend wird der Job im Winter bei Schnee und Glatteis“, erzählt sie aus freien Stücken. „Nicht selten arbeiten wir Boten dann teilweise bis nachmittags, damit jeder seine Zeitung erhält.“ Dass der Job auch gefährlich sein kann, hat Andrea am eigenen Leib erfahren müssen. Erst kürzlich hat sie sich die Hand gebrochen, als sie eine Treppe hinunter fiel, weil ein Hausbesitzer einen Kübel in den Weg gestellt hatte. Zweimal wurde sie von einem Hund angefallen, und genauso oft hatte ihr Auto einen Totalschaden. Dabei rutschte sie im Winter in eine Herde Wildschweine und vor 20 Jahren fiel eine Tanne auf das Auto während sie drin saß. „Damals bin ich nur knapp dem Tod entkommen“, berichtet sie von dem Vorfall zu Beginn ihrer Laufbahn bei der WR.
23 Jahre Berufserfahrung
Mit der nächsten Ladung geht es in Richtung Holthausen. Durch ihre 23-jährige Berufserfahrung kennt sich Andrea in Plettenberg bestens aus. „Ich kann den meisten Namen auch eine Adresse zuordnen“, erzählt sie mir. Ich bin beeindruckt. Bis kurz vor drei fahre ich noch mit der Oberbotin durch die nächtlich ruhigen Straßen und schaue ihr beim Verteilen der knapp 200 Zeitungen über die Schulter.
Während ich zu meinem nächsten Job fahren werde, ist auch für Andrea der Tag noch lange nicht vorbei. Bis acht Uhr morgens ist sie noch auf den Beinen und legt dabei nicht weniger als 20 bis 25 Kilometer zu Fuß und knapp 100 mit dem Auto zurück. Um 9 und um 12 Uhr mittags warten dann noch Nachlieferungen auf die einmalige Mutter und zweifache Oma. Die Antwort auf die Frage, ob ihr der Job immer noch Spaß mache, kommt ihr leicht über die Lippen: „Ja, auch nach 23 Jahren.“
Beeindruckt und voller Respekt für Andreas Job verabschiede ich mich von der Oberbotin und begebe mich gespannt zu meiner nächsten Station in der Bäckerei.