Unna.

Edith Bergmann spricht nicht gerne über ihre Krankheit. Besonders nicht, wenn sie sich mit der Selbsthilfegruppe trifft. Mit den anderen Teilnehmern verbindet sie eine Diagnose. Trotzdem geht es selten um „MS“. Das Fernsehprogramm, die Qualität des Kaffees, das Wetter – alles Themen, über die hier mehr gesprochen wird.

„Multiple Sklerose“, steht in der Akte von Edith Bergmanns Neurologen über sie. Das heißt, dass körpereigene Abwehrzellen die isolierende Schicht des zentralen Nervensystems angreifen. Es entstehen Entzündungen, die Weiterleitung von Reizen funktioniert nicht mehr. Unterschiedliche Bereiche des Körpers werden dadurch einfach „lahmgelegt“. Eine Heilungsmethode gibt es noch nicht. Die Symptome der MS zu beschreiben ist selbst denen unmöglich, die sie selbst erfahren. Christian Baran leitet die Selbsthilfegruppe nun schon seit mehreren Jahren, er nennt MS immer wieder „die Krankheit der tausend Gesichter“.

Krankheit kommt in Schüben

Die Krankheit kommt in Schüben, bei manchen Patienten auch schleichend. Mal kann man nicht sprechen, mal nicht mehr laufen, mal ist man ein paar Wochen fast blind. Von einem Tag auf den anderen kann der Schub dann schon wieder vorbei sein. „Nicht laufen zu können ist eigentlich gar nicht so dramatisch“, stellt Christian Baran fest, der zurzeit im Rollstuhl sitzt. Viel schlimmer war es, nicht mehr sprechen zu können.

„Zuhause brauche ich den Rollstuhl ja gar nicht. Aber draußen besteht mein Mann darauf“, sagt Edith Bergmann. Wenn ihr jemand mitleidig begegnet, schlägt sie mit Sarkasmus zurück. Sie will nicht hören, dass sie den Leuten Leid tut: „Ich sage dann einfach: Sie tun mir Leid. Sie müssen laufen, ich nicht!“

In der MS-Gruppe merkt man, welche Probleme sich abseits von Rollstühlen und Gehhilfen ergeben. Wie soll man den Kindern erklären, dass man jetzt nicht mehr alles kann? Wie spielt der Lebenspartner mit, wie der Arbeitgeber? Die Krankheit kommt bei den meisten, wenn sie gerade fest im Leben stehen, vielleicht ein Haus bauen oder Eltern geworden sind.

„Es ist aber auch immer, was man daraus macht. Man muss stark sein“, betont Bergmann erneut. „Stark sein“, sagt sie sehr oft, „auch nach 31 Jahren mit MS muss man stark sein.“

Wenn sie von Aufenthalten in der Spezialklinik erzählt, schüttelt sie angewidert den Kopf und schiebt die Kaffeetasse von sich weg. „Da hörtest du nur MS, den ganzen Tag. Da war ich richtig krank, als ich nach Hause kam!“

Vor Kurzem hat sie mit dem Rauchen aufgehört. Nicht, weil ihr Arzt es ihr schon lange empfohlen hat, sondern weil sie die Zigarette nicht mehr so gut halten konnte. „Ich hatte immer wieder Brandlöcher im Pullover“, lacht sie. Ihr Mann kann noch gar nicht glauben, dass seine Frau tatsächlich die Zigaretten aufgegeben hat.

Reiten gegen Symptome

Christian Baran kennt so einige Tipps, Tricks und Mittel, die gegen MS helfen oder die Symptome lindern können. Bei akuten Schüben verschreiben die Ärzte Cortison. Weniger radikal ist die „Hippotherapie“, von der er nur Gutes berichten kann. Ponyreiten gegen multiple Sklerose – die Krankenkasse übernimmt die Kosten aber nicht.

Von den verschiedenen Ernährungsvorgaben können in der Selbsthilfegruppe alle ein Lied singen. Ulrike Beutel hat zu Hause zwei Kochbücher speziell für MS-Patienten: „Wenig Fett und Fleisch, viel Obst, Gemüse und Fisch“, beteuert sie den Ernährungsplan. Bei einer Krankheit, die tausend Gesichter hat, muss jeder Patient selbst den richtigen Weg finden.

„Wir geben uns hier natürlich gegenseitig Empfehlungen“, sagt Baran. Und tatsächlich genügt der Name eines Neurologen und ein vielsagender Blick – über Ärzte reden sie ohne viele Worte.

Es ist eine familiäre Atmosphäre in einer lockeren Runde, die sich alle zwei Wochen am Samstagabend im Gesundheitshaus trifft.

Behindertenbeiratsvorsitzender Christian Baran urteilt: „Eigentlich sind wir eine Selbsthilfegruppe, genau so ist, wie sie sein sollte.“