London. .
Auf dem Weg zur Arbeit steige ich an der Haltestelle „Theresa Zabell“ in die Piccadilly-Linie, bei „Mary Lou Retton“ wechsle ich zur Victoria-Linie, die mich bis zur Zielstation „Michael Jordan“ bringt. Nein, das Olympia-2012-Fieber hat mir noch nicht den Verstand geraubt. Ich navigiere nur mit der jüngsten Design-Ausgabe des Londoner U-Bahn-Fahrplans – und der hat seine 361 Haltstellen durch Namen berühmter Sportler ersetzt.
Von „Boris Becker“ bis „Steffi Graf“ fährt man auf der Northern Line nur eine Station – und zu „Andre Agassi“ braucht man von Steffi aus auch nur ein paar Minuten. Neben den Tennis-Legenden haben die zwei kreativen Briten Alex Trickett und David Brooks noch anderen Deutschen mit der sportlichen Neuauflage des Londoner U-Bahn-Fahrplans ein Denkmal gesetzt: „Croxley“ im Nordwesten etwa heißt nun „Ulrike Meyfarth“, Kanutin Birgit Fischer stand Pate für die Station „South Harrow“. Der „Barbican“ im Zentrum firmiert unter „Heike Drechsler“, Ruislip Manor unter DDR-Speerwurf-Legende „Ruth Fuchs“. Die S-Bahn-Station „Headstone Lane“ schmückt sich vorübergehend mit dem Namen des Hockey-Helden Carsten Fischer.
Wer es auf den wohl berühmtesten Linienplan der Welt geschafft hat oder auch nicht, war natürlich eine kontroverse Angelegenheit. 361 Haltestellen-Namen waren neu zu vergeben, verdiente Olympioniken gibt es sehr viele mehr. Fanny Blankers-Koen, schillerndster Star der Spiele 1948, mussten die Designer nach Protesten der holländischen Regierung nachträglich einbringen. „Trotz hitziger Debatten und einiger Änderungen sind wir mit dem Ergebnis jetzt zufrieden“, so Trickett und Brooks, „immerhin sind Dutzende Nationen auf dem Plan vertreten, jede olympische Sportart findet sich wieder.“ Charmanterweise haben die beiden auch Stationsnamen an Sportler vergeben, die Gold verdient hätten, es aber nie erreicht haben: „Marta“ aus Brasilien etwa, weltbeste Fußballerin, übernimmt die Haltestelle „Regent’s Park“.
Auf der roten Central Line finden sich vor allem Wassersportler, auf der Jubilee Line Radler und auf der hellblauen Victoria Line Gymnastik-Künstler. Die prominenteste Haltestelle, nämlich Stratford am Olympischen Park, ist nach Cassius Clay (Muhammad Ali) benannt worden.
Wer sich angesichts der Namensänderungen schon vor zusätzlichem ÖPNV-Chaos während er Spiele gruselt, dem sei versichert: Es werden natürlich keine Haltestellen-Schilder abgeschraubt. „Dies ist Usein Bolt, nach Lionel Messi bitte hier umsteigen“ ist trotz des neuen Fahrplan-Designs kein Satz, den man im Londoner Untergrund hören wird.
Die kleine Namensrevolution findet fürs Olympia-Publikum nur auf dem Papier statt – den Plan gibt’s im Internet-Shop der Londoner Verkehrsbetriebe: http:/shop.tfl.gov.uk/design-collections/Underground-Olympic-Legends-Map.html