Wulfen. .

„Ich kann kaum durch die Stadt gehen, ohne jemanden zu kennen“, lacht Ingelore Lindner. Kein Wunder: Die 62-Jährige ist seit 1969 Hebamme und seit 1976 freiberuflich tätig. In dieser Zeit hat sie über über 9500 Frauen betreut und tausende Kinder auf die Welt geholt. Die WAZ sprach mit ihr anlässlich des Internationalen Hebammentages am heutigen 5. Mai.

„Hebammen leben am Existenzminimum“, klagt Ingelore Lindner. Ihre Kolleginnen und sie kommen auf einen Stundenlohn von im Schnitt 7,50 Euro. Das bleibt übrig von den 27 Euro plus Fahrtkosten für einen Wochenbesuch: „Dafür kommt heute kein Handwerker mehr raus“, stellt die Wulfenerin fest. Sie ist auch Kreisvorsitzende im Recklinghäuser Verband der Hebammen. Hier sind rund 240 Hebammen - freiberufliche und angestellte in den Krankenhäusern - aus dem gesamten Kreis organisiert. Sie treffen sich regelmäßig zu Gesprächen und Fortbildungen.

Den Internationalen Hebammentag heute hat der Verband, der in Deutschland rund 18 000 Hebammen vertritt, unter das Motto „Hebammen wissen Bescheid“ gestellt. Sie verstehen sich als „Fürsprecherinnen aller Frauen“ und fordern, dass jeder Frau vom Beginn der Schwangerschaft an bis zum Ende der Stillzeit eine Hebamme zur Seite gestellt wird. Der Deutsche Hebammenverband fürchtet, dass viele Hebammen ihren Beruf aufgeben werden, wenn ihre Arbeit nicht endlich auf eine „solide gesetzliche Grundlage gestellt und angemessen vergütet“ werde. Den Internationalen Hebammentag gibt es schon seit 1991.

Hebammen decken die gesamte Schwangerschaft ab, machen Vorsorge, Geburtsvorbereitung, betreuen die Geburt und machen anschließend auch die Nachsorge. Viele der Frauen haben sich obendrein spezialisiert und geben zusätzlich Kurse. Sie sind oft rund um die Uhr in Rufbereitschaft, auf jeden Fall sechs Wochen vor einer Hausgeburt. Mehr als 20 Hausgeburten pro Jahr kann eine Hebamme deshalb auch nicht betreuen. An „normalen“ Betreuungen hatte Ingelore Lindner als sie noch voll gearbeitet hat rund 160 pro Jahr.

„Heute ist es so“, erzählt die Wulfenerin, „dass für die Nachsorge zu wenig Hebammen da sind.“ Immer mehr Mütter nehmen das Angebot möglichst lange in Anspruch. „Sie haben ihr ‘Bauchgefühl’ verloren“, beschreibt Lindner, dass viele junge Frauen nicht mehr instinktiv wissen, was gut für ihr Baby ist, weil sie zu viele Ratgeber oder zu viele Tipps im Internet gelesen haben. Viele junge Frauen haben auch keine Mütter und Omas mehr in ihrer Nähe, die sie mit Rat und Tat unterstützen könnten.

Wie wichtig die Arbeit von Hebammen ist, hat auch der Gesetzgeber erkannt und „Frühe Hilfen“ im neuen Bundeskinderschutzgesetz verankert. Ab diesem Jahr soll mit Geld vom Bund ein Netz von Frühen Hilfen unter dem Einsatz von Familienhebammen aufgebaut und damit wichtiger Beitrag zur Prävention geleistet werden. Unter dem Strich lässt sich auf diese Weise viel Geld sparen.