Unna/Dortmund. .
Essen ist Leben, und dieses Leben beginnt für Susanne Ragnitz unter Flutlicht. In Dortmund.
Nein, die Billmericherin verkauft keine Stadionwurst bei einem Abendspiel des BVB. Das Stadion an der Strobelallee ist das Mekka für viele Fußballfans, während Susanne Ragnitz über einen anderen Heiligen Weg pilgert. Genau so heißt die gesündeste Straße der Region, auf der sich Millionen Vitamine stapeln. Ragnitz geht mitten in der Nacht Lebensmittel shoppen, auf dem Großmarkt in der östlichen Dortmunder City.
Die Zeiger rücken schläfrig auf halb Drei nachts vor. Der Transporter der Markthändlerin ist kaum auszumachen in der Fahrzeugkolonne, die sich der Schranke am nostalgischen Eingangspavillon nähert. Lastwagen aus Spanien, Belgien und den Niederlanden rollen heran, um der Drehscheibe für Obst und Gemüse das Futter für immer neue Rotationen zu liefern. „Geöffnet ab 3 Uhr“, teilt ein Schild mit, „Nur für Wiederverkäufer“, mahnt ein anderes.
Jalousien werden hochgezogen, die Markthallen bilden eine endlose Reihe von großen Garagen. Aus ihren geöffneten Toren brechen keine Monstertrucks aus, sondern sanft schnurrende Gabelstapler. Auch die Männer von Großhändler van Wylick, ganz früher mal in niederländischer Hand, karren Palette um Palette Erdbeeren, Tomaten und Spargel heraus. Ihre Auslage ist der schnöde Asphalt.
Drei Stunden später sieht das schon ansprechender aus. Ab halb fünf breitet Wiederverkäuferin Susanne Ragnitz ihre Errungenschaften auf dem Wochenmarkt in Unna aus. Heute hat sie sich für südbadischen Spargel, Tomaten, Bananen, Salat und andere Leckereien entschieden. Weil sie seit Jahrzehnten zum Markt gehört wie sonst nur der Eselsbrunnen, ist der Großmarktbesuch für Ragnitz kein Abenteuer mehr. „Ich weiß, was meine Kunden wollen, und kaufe fast nur noch bei einem Händler ein.“ Während sie ihrem Transporter einen Vitaminstoß nach dem anderen verpasst, entfährt Susanne Ragnitz kein einziges Gähnen. Und das, obwohl sie bis 20 Uhr nicht mehr an ihrer Matratze horchen wird.
Eine kurze Nacht
„Meine Nacht dauert von abends Acht bis halb Zwei“, sagt sie. Dann geht es raus aus den Federn, auf den Weg zur Ware und noch einmal zurück nach Billmerich. „Es ergibt keinen Sinn, mit dem Anhänger und den Schirmen auf dem Großmarkt vorzufahren“, sagt Ragnitz. Ihren Anhänger muss sie in Unnas Mitte erst noch entfalten, damit er zum Verkaufsstand und zum Liegestuhl für die Lebensmittel wird. „Karins Markttreff“ hat es da leichter. Dieser Wagen aus Irgendwo rollt gerade an Ragnitz’ Transporter vorbei und ist Lastesel und Verkaufswagen in einem.
Susanne Ragnitz hat ihre vorbestellte Ware inzwischen in den Wagen gewuchtet. Jeder Handgriff sitzt. Was davon um 14 Uhr noch nicht verkauft ist, wandert in die Kühlung und am nächsten Tag auf den Lüdenscheider Markt. Der Winter ist ihr Freund, pro Woche geht es für Nachschub nur zwei Mal zum Heiligen Weg. „Das Saisongemüse hält sich länger“ erklärt sie, und ihr Blick streift die verschiedenen Kohlsorten. Im Sommer sind vier Fahrten zum Großmarkt die Regel, die Frische der Lebensmittel verlangt das so.