St. John's. Für 60.000 bis 9. 000 US-Dollar lassen sich Passagiere zum Wrack des Luxusliners bringen, der vor 100 Jahren im Nordatlantik sank.
Larry Daley streift sich seinen blauen Overall über und steigt in das Tauchfahrzeug. Die „Mir 1“ wird zu Wasser gelassen und rauscht mit 30 Metern in der Minute in die Tiefe.
Durch das kleine Bullauge im Steuerraum erkennt Daley zunächst noch sprudelndes Wasser, dann wird das Meer pechschwarz. Nach einer Weile tauchen leuchtende Algen aus dem Dunkel auf und knallen gegen das Panzerglas. Daley kommt es vor wie ein Feuerwerk in der Tiefsee. Es geht weiter nach unten, immer weiter.
Nach mehr als zwei Stunden kommt die Kapsel endlich zur Ruhe. Dann tauchen sie auf: Metallteile, Ketten, ein Geländer. „Gespenstisch, absolut gespenstisch“, sagt Daley.
In ewiger Dunkelheit
Der Kanadier ist am Wrack der Titanic angekommen. In 3800 Metern Tiefe in der ewigen Dunkelheit des Nordatlantik, etwa 20 Kilometer südöstlich jener Unglücksstelle, an der der Luxusliner am 15. April 1912 während seiner Jungfernfahrt mit einem Eisberg kollidiert und gesunken war. Da liegt sie nun vor ihm, auseinandergebrochen in zwei große Teile, versunken im meterhohen Schlick, umgeben von Tausenden Trümmern. Angefressen von Bakterien und Rost.
Fundstücke unter dem Hammer
Daley gehört zu den wenigen Menschen, die das Wrack der Titanic mit ihren eigenen Augen gesehen haben. Neun Jahre ist das mittlerweile her. Seit es 1985 entdeckt wurde, haben nur etwa 200 Menschen das Wrack unter Wasser gesehen. Darunter Hollywood-Regisseur James Cameron, der vor den Dreharbeiten zu seinem Blockbuster „Titanic“ insgesamt 35 Mal hinabgetaucht ist. Doch in diesem Jahr wird es auf dem Meeresboden noch lebhafter zugehen. Im April jährt sich der Titanic-Untergang zum hundertsten Mal, das zieht so viele Taucher an wie selten zuvor.
Dafür sorgt nicht zuletzt Larry Daley. Nach seinem eigenen Tauchgang hat er die Firma „Titanic Expeditions“ gegründet. Heute organisiert er Titanic-Erlebnisreisen und vermittelt kommerzielle Touren zum Wrack. Zwischen 60.000 und 90.000 US-Dollar kostet das Abenteuer – pro Person. Etwa 80 Passagiere haben dieses Jahr das Abenteuer gebucht. „Es sind Manager darunter, Lehrer, Historiker, Ärzte und sogar Nachfahren von Titanic-Opfern“, berichtet Daley. Bevor die Kapsel ins Wasser gelassen wird, darf jeder Passagier einen Kaffeebecher aus Plastik mit seinem Namen an der Außenwand des Tauchbootes anbringen. Steve Blasco schildert, wie es danach weiter geht. Der renommierte Meeresgeologe arbeitet für die kanadische Regierung und hat das Wrack 1991 mit der „Mir 1“ besucht.
Kaffeebecher so groß wie Fingerhüte
Wenn die Tauchkapsel neun Stunden später wieder auf das Mutterschiff gezogen wird, sind die Kaffeebecher an der Außenwand auf die Größe eines Fingerhutes geschrumpft. Das liegt am Druck, der auf dem Meeresboden etwa 370 mal größer ist als in der Atmosphäre. Die Becher sind das einzige „Souvenir“, das die Passagiere von unten mitbringen dürfen.
Unten angekommen, gleitet das Tauchfahrzeug zunächst zum Bug. Er ist relativ gut erhalten und steckt zu zwei Dritteln im Schlamm. Das Promenadendeck, auf dem einst die Passagiere der ersten Klasse flanierten, ist von Mikroben zerfressen. Metallwände sind eingestürzt, die Reling ist mit Rostklumpen überzogen, viele Kabinenfenster stehen offen.
In der Nähe des Steuerhauses haben frühere Expeditionen Gedenktafeln und Plastikblumen abgelegt. Das Heck liegt etwa 600 Meter vom Bug entfernt. Drumherum sieht es aus wie nach einer Explosion, überall liegen alte Dampfkessel. Auch eine der Schiffsschrauben ist zu sehen. Der Meeresboden ist übersät mit Gläsern, Geschirr, Schuhen, Haarbürsten, Flaschen.
Kapitel jetzt beenden
Bis zu fünf Ausfahrten der „Akademik Keldysh“ sind dieses Jahr noch geplant. Danach soll Schluss sein – für immer. „Die Ausflüge zur Titanic sind ein faszinierendes Erlebnis“, meint Veranstalter Daley. „Doch der 100. Gedenktag ist auch der richtige Zeitpunkt, um das Kapitel zu schließen und das Wrack ruhen zu lassen.“ Ob das wirklich gelingt?