Essen. Die Kritik an den Sicherheitsmaßnahmen der Ölkonzerne wird lauter. Beinahe täglich kommt es zu Zwischenfällen in der Nordsee.

Immer noch brennt die Fackel auf dem Turm der menschenleeren Total-Plattform „Elgin“ in der Nordsee. Und immer noch blubbern stündlich rund 10.000 Kubikmeter explosives Gas an die Oberfläche. Und die offene Flamme ist nur etwa 100 Meter davon entfernt.

Obwohl der französische Energiekonzern Total das Abfackeln des Gases auch in Notfällen als absolut normalen Vorgang bezeichnet und eine Explosionsgefahr bisher ausgeschlossen hat, wurden zwei Löschschiffe an den Rand der Sicherheitszone beordert. Dies sei eine übliche Vorsorgemaßnahme. Ein weiteres Spezialschiff ist am Ort, es hat einen Unterwasser-Roboter an Bord, der mit einer Kamera das Leck an der Plattform untersuchen könnte. Ob er zum Einsatz kommt, ist offen.

Nach Angaben des Konzerns werde die Fackel in einigen Tagen von selbst verlöschen, sobald alle brennbaren Stoffe in dem System verbraucht seien. Experten bezeichneten das als „riskantes Spiel“ von Total. Die Plattform sei eine „tickende Zeitbombe“. Im normalen Betrieb wird über die Fackel nicht genutztes Gas verbrannt.

Am vierten Tag nach der Evakuierung der Förderinsel scheint nun auch der Ursprung des Gaslecks geortet zu sein. Das Gas strömt aus einer vor einem Jahr stillgelegten Quelle aus einer Tiefe von 4000 Metern durch das Bohrloch hinauf. Die Plattform fördert normalerweise das Gas aus einem Vorkommen in knapp 6000 Metern Tiefe. Wie das Leck geschlossen werden kann, ist weiter unklar. „Wir bewerten derzeit noch alle Lösungen“, sagte ein Konzernsprecher. Eine Entscheidung sei erst in einigen Tagen zu erwarten.

Diskutiert wird über eine Entlastungsbohrung, um den Druck zu reduzieren. Die notwendige Tiefe zu erreichen, könnte indes sechs Monate in Anspruch nehmen. Unmengen giftiges Gas würde in dieser Zeit ungehindert ausströmen. Auch das Verfahren, Schlamm in das Bohrloch zu pressen, wird geprüft. Die Möglichkeit, das Leck mit einer Stahlglocke zu verschließen, wie es bei der vor zwei Jahren explodierten BP-Plattform „Deepwater Horizon“ versucht wurde, wird offenbar wegen des hohen Gasdrucks nicht erwogen. Keiner weiß, wann Total das Problem in den Griff bekommt.

Nicht nur die Umweltschützer sind alarmiert und kritisieren die Notfallmaßnahmen des Betreibers. Auch die Europäische Union fordert Konsequenzen. Vielleicht müssten die Sicherheitsmaßnahmen verschärft werden, die EU müsse aus dem Unglück lernen und die Regeln prüfen, ließ Energiekommissar Günther Oettinger mitteilen.

Das scheint angebracht, denn beinahe täglich ereignen sich größere oder kleiner Zwischenfälle, bei denen Chemikalien, giftiges Gas oder Öl in die Nordsee gelangen – beim Umladen, durch defekte Ventile und Leitungen oder durch größere Lecks. Die 1992 gegründete Kommission zum Schutz der Meeresumwelt im Nordatlantik (OSPAR) registrierte 2008 (jüngste Erhebung) 491 Ölunfälle, bei denen mehr als 300 Tonnen Öl ausflossen. Im Jahr zuvor gab es 515 Zwischenfälle, wobei allerdings 3882 Tonnen Öl austraten. Der Grund dafür war ein Unglück im norwegischen Ölfeld Statfjord. Im August 2011 verursachte eine defekte Leitung an der Shell-Plattform „Gannet Alpha“ in der Nordsee die schlimmste Umweltkatastrophe Großbritanniens in den letzten zehn Jahren. Rund 1000 Tonnen Öl flossen aus.

Immer wieder entdecken Greenpeace-Biologen bei ihren regelmäßigen Kontrollflügen große Ölfilme rund um Förderpattformen in der Nordsee. Allein der tägliche Betrieb bedeute „eine schleichende Verseuchung“ des Meeres. Jörg Feddern, Energieexperte bei Greenpeace, fordert schärfere Kontrollen. „Sie müssen unangemeldet, umfassend und häufiger sein“, sagt Feddern unserer Zeitung. „Im Zweifelsfall muss die Plattform nachgerüstet werden.“ Geschieht das nicht, müsse man den Betrieb der Förderinsel eben stoppen.