Essen. Ungewöhnlich ist das nicht: Stromkunde liegt mit Energielieferant im Clinch. Außergewöhnlich wird es, wenn der Kunde Norbert Röttgen heißt. Der Bundesumweltminister zofft sich öffentlich mit dem Stromunternehmen, der Rhein-Energie AG.

In zwei Talkshows – „Hart aber fair“ und „Maybrit Illner“ – beschwerte sich Röttgen über das Kölner Unternehmen. Grund: Ihm war ein Brief ins Haus geflattert, in dem Rhein-Energie ab 1. April eine Preiserhöhung von 2,37 Cent je Kilowattstunde ankündigt. Macht 5,92 Euro pro Monat. Nicht nur die Tatsache an sich erzürnte Röttgen. Der Anstieg werde „mit verschiedenen Behauptungen begründet, die ich nicht für belastbar halte“, schreibt Röttgen in einem Brief an Rhein-Energie. Er meint folgende Passage aus dem Brief: „Unsere Bezugskosten sind, insbesondere durch den Atomunfall in Fukushima und die folgende Energiewende, gestiegen.“ Röttgen zitierte vor einem Millionenpublikum aus dem Rhein-Energie-Schreiben und verbat sich, dass als „Schuldige“ für die Preiserhöhung die Bundesregierung angeschwärzt werde.

Gegen steigende Strompreise zu Felde zu ziehen – das macht sich für den CDU-Spitzenkandidaten gut im NRW-Landtagswahlkampf. Eben diesen Vorwurf erhebt Rhein-Energie: „Herr Röttgen führt Wahlkampf auf Kosten unseres Unternehmens“, giftete Rhein-Energie-Chef Dieter Steinkamp. Man habe keine Kunden getäuscht, nur gestiegene Kosten weitergegeben.

Im Detail nennt Rhein-Energie folgende Punkte:

- Ein ungewöhnlich starker Anstieg der Netznutzungsentgelte mache fast die Hälfte des Preisanstiegs aus.

- Für mehr als sechs Monate seien die Handelspreise für Strom deutlich gestiegen. Der absehbare Wegfall von Kernkraftwerken erfordere den Einsatz alternativer Stromerzeugung. Diese sei teurer. Dies führe zu gestiegenen Beschaffungskosten.

- Die Bundesregierung habe eine zusätzliche Umlage beschlossen, um die energieintensive Industrie zu entlasten. Auf Kosten der Allgemeinheit.

Rhein-Energie und Röttgen haben sich ineinander verkeilt. Rhein-Energie wirft Röttgen Unredlichkeit vor, weil dieser sich nur wenige Punkte herauspicke. „Wir haben die Erhöhung nicht pauschal mit der Energiewende begründet“, sagte ein Sprecher.

Die WAZ hat mehrere Experten die Fakten bewerten lassen, um die Frage beantworten zu können, wer Recht hat.

Netzentgelte: Diese Kosten sind deutlich gestiegen, das bestätigt unter anderem der Übertragungsnetzbetreiber Amprion, in dessen Gebiet Rhein-Energie liegt. Mit der Energiewende könne dieser Anstieg nicht verknüpft werden, so ein Sprecher. Der kostenintensive Netzausbau werde längerfristig geplant. Und: Die Bundesnetzagentur reguliert die Netzentgelte.

Entlastung der Industrie: Die Erleichterungen für die Industrie wurden 2011 von der Bundesregierung beschlossen. Sie führen zu – allerdings geringen – Mehrbelastungen für Privathaushalte. „Hierauf hat Rheinenergie keinen Einfluss“, so Dagmar Ginzel vom Vergleichsportal Verivox.

Beschaffungskosten: Hier hat Rhein-Energie Einfluss, zumal es über eigene Kraftwerke verfügt. Die Strom-Beschaffung ist bei Energieunternehmen das wohl am besten gehütete Geheimnis, weil sie hieraus ihre Gewinnspanne erzielen. Zwar hat Rhein-Energie Beschaffungspreise für 2011 veröffentlicht, doch das ist nur ein Mosaikstein. Strom wird zum Teil mehrere Jahre im Voraus gekauft. Die Aussage, dass alternative Stromerzeugung zu höheren Preisen führt, ist als Blick in die Zukunft nicht überprüfbar. Teilweise hat Ökostrom zurzeit einen preissenkenden Effekt.

Fazit: Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte. Jürgen Schröder von der Verbraucherzentrale bezweifelt, dass die Beschaffungskosten eine so hohe Preiserhöhung rechtfertigen. Mit Blick auf das Preisgefüge in NRW teilt Verivox mit, dass Rhein-Energie im Mittelfeld liegt.