Brüssel. EU-Verkehrskommissar Siim Kallas will nun doch grenzüberschreitenden Verkehr mit den sogenannten Giga-Linern zulassen. Wenn zwei Nachbarstaaten sich darauf verständigten, könnten die bis zu 25 Meter langen und 60-Tonnen schweren Lkw unter bestimmten Voraussetzungen die Grenze passieren, sagte Kallas im EU-Parlament.

Dort sind die Verkehrsfachleute fraktionsübergreifend über den Kursschwenk des Kommissars empört; In der Vergangenheit hatte er stets argumentiert, das geltende EU-Recht verbiete den Super-Brummis den Weg von einem Land ins andere. Über Sinn oder Schädlichkeit der Monster-Trucks gehen die Meinungen weiter auseinander.

Das Speditionsgewerbe sieht in den Giga-Linern eine Kostenersparnis und vernünftige Transport-Option besonders in dünner besiedelten Gebieten mit Überlandstraßen wie in den USA: lang, gerade, wenig befahren. Für viele Umweltschützer und Verkehrspolitiker in europäischen Transitländern wie Deutschland und Österreich sind sie hingegen ein ökologischer und wirtschaftlicher Irrweg: Belastung für die Infrastruktur und den Steuerzahler gleichermaßen. Der Kommissar liegt dazwischen: Er will die Groß.Laster da zulassen, wo die beteiligten Länder sich davon Vorteile versprechen. “Ich sehe nicht, dass wir ein einheitliches europäisches Modell vorschreiben sollten”, erklärte Kallas vor dem Verkehrsausschuss des Europa-Parlaments.

Regionale Erprobungen in Deutschland

Das Problem ist nur: Es gibt bereits eine europäische Vorschrift: Eine Richtlinie aus dem Jahr 1996 legt Höchstabmessungen und -Gewichte fest. Danach können die Mitgliedstaaten zwar unter bestimmten Bedingungen Giga-Liner auf ihrem nationalen Straßennetz erlauben. Schweden und Finnland haben das getan, in Deutschland hat es regionale Erprobungen gegeben. Aber Fahrten über die Grenze? Dazu hatte der Kommissar lange eine glasklare Meinung. Vor zwei Jahren, am 16. März 2011, erklärte er auf Anfrage des deutschen EU-Abgeordneten Michael Cramer von den Grünen: Wer mit einem Giga-Liner eine Grenze überquere, verstoße gegen die Bestimmungen.

Nach ausführlichen Konsultationen mit der Straßenverkehrsbranche ist Kallas auf einmal anderer Meinung. Es mache doch keinen Sinn, wenn ein Lang-Lkw in Finnland an der Grenze erst auseinander gekoppelt und dann auf der schwedischen Seite wieder zusammen geschirrt werde. Das Parlament fühlt sich ob der juristischen Kehrtwende veralbert. “Auf einmal treffen Sie die Transport-Industrie, und auf einmal ist alles anders?”, ging der österreichische Sozialdemokrat Jörg Leichtfried den Kommissar an. Und Cramer erregte sich: “Wir leben doch in einem Rechtstaat - Kallas trickst Parlamnent und Rat aus!”.Die entscheiden über neue Gesetze, aber nicht über eine neue Auslegung von alten.

Massiver Widerstand erwartet

So einfach wird das freilich nicht. Die juristischen Dienste des Bundestags und des Straßburger EP kommen übereinstimmend zum Schluss, dass Grenzfreiheit für Monstertrucks nur durch das ordentliche Verfahren der Gesetzgebung herzustellen wäre. “Grenzüberschreitende Fahrten der Giga-Liner verstoßen … gegen die Regelungen der Richtlinie”, schreibt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags. Kommissar Kallas muss sich folglich auf massiven Widerstand der Straßburger Volksvertretung einstellen, möglicherweise auch vor Gericht. Die bequemere Alternative könnte tatsächlich der Versuch sein, das Grenzverbot für Monster-Trucks bei der Überarbeitung der Richtlinie zu lockern. Denn für die Giga-Leiner selbst gibt es im EP auch einige Sympathie. “Ich bin dafür”, sagt der CDU-Parlamentariere Dieter-L. Koch.