Berlin. Der Essener Sammler Thomas Olbricht zeigt in seinem Berliner „me Collectors Room“ Gerhard Richter und vieles mehr. Er traut sich, aktuelle Kunst mit Kunsthandwerk und Kuriositäten aus fünf Jahrhunderten zu kombinieren, ganz nach dem Prinzip der Wunderkammern der Renaissance und des Barock.

Auguststraße, fünf Gehminuten von der Museumsinsel entfernt: Umzingelt von Galerien in sanierten Jahrhundertwende-Häusern, ragt ein Neubau kühlmodern heraus, nur eine Panorama-Glasscheibe trennt ihn vom Sportplatz der Schule nebenan. Drinnen im Museum, das gar keines sein will, hat der Chef einen dicken, großen Teppich auslegen lassen, für die Mütter mit Kleinkindern, die sich hier oft treffen. Der Chef ist Thomas Olbricht, Prof. Dr. Dr. und lange praktizierender Hormon-Arzt, ehemals Aufsichtsratsvorsitzender der Wella AG und Millionenerbe aus Essen.

Ausgerechnet im Kulturhauptstadtjahr 2010 hat Olbricht in Berlin seinen „Collectors Room“ eröffnet. Was der Neubau gekostet hat, mag er nicht sagen. Nur, dass er vom „Regierenden“ Klaus Wowereit empfangen wurde, der ihn von seinem Balkon auf die Stadt gucken ließ und sagte: „Ich freue mich, wenn Sie mit so einer Idee kommen, ich unterstütze Sie, wo ich kann – aber bezahlen müssen Sie’s!“ Das sei, nach jahrelangem Hin und Her in Essen, mal eine Ansage gewesen, „damit konnte ich leben!“

Nach Protesten von Anwohnern, die sich auf die Bauordnung beriefen, gab sich Olbricht mit 1300 Quadratmetern für die Kunst zufrieden, der Rest des 3000-Quadratmeter-Baus wurde zu Wohnungen: „Heute bin ich heilfroh, dass es so ausgegangen ist. Wir wollen ja nicht die ganze Sammlung auf einmal zeigen!“

Sehenswerte Ergänzung zur großen Richter-Retrospektive

In den zwei Jahren seither hat sich das, was der Sammler aus Leidenschaft sein „Kunstlabor“ nennt, in der an Ausstellungsadressen nicht gerade armen Hauptstadt etabliert. Derzeit strömen die Besucher hier zu Gerhard Richters Auflagen-Werken, eine sehenswerte Ergänzung zur großen Richter-Retrospektive der Nationalgalerie. Die Sammlung Olbricht ist die einzige weltweit, die sämtliche Richter-Editionen besitzt, abgesehen von jenen, die für Museen entstanden.

Warum dann Berlin und nicht im Revier? Für die Zeche Zollverein, die ihm als Ausstellungsort angeboten wurde, „war mir die Sammlung, muss ich ehrlich sagen, zu schade“, sie wäre dort untergegangen. „Berlin“, sagt Olbricht, „ist die einzige wirklich internationale Stadt im Land. Mit den Touristenströmen hier erreicht man ein ganz anderes Publikum.“ Warum schaut er sich seine Kunst eigentlich nicht lieber zu Hause an? „Eine große Kunstsammlung,“ erklärt er, „darf man nicht unter Verschluss halten, wenn andere auch davon überzeugt sind, dass sie etwas Besonderes ist. Da spüre ich eine Verpflichtung, diese Kunst an einem besonderen Ort zu zeigen.“ Und: „Ich bin ja nicht ausgewandert, ich lebe weiter in Essen, weil ich mich dort wohlfühle.“

Der Wahnsinn und die Wunderkammer

Thomas Olbricht ist Sammler aus Leidenschaft, die sich in jungen Jahren zunächst auf Briefmarken, Feuerwehr- und Rettungsautos richtete und in den letzten 30 Jahren dann auf aktuelle Kunst. Dazu, sagt der 64-Jährige, „gehört vor allem Mut, sich für das Neue zu interessieren, für Dinge, die man nicht gleich versteht.“ Er sei „süchtig nach Farbe, Aktion und Nähe zur Kunst“ gesteht er. Ob er schon mal einen Kunstkauf bereut hat? „Immer!“, so die heftige Auskunft, „nach jedem Kunsterwerb kommt das tote Tier und du sagst dir, du meine Güte, was hast du da getan? Wahnsinn! Als Endokrinologe weiß ich ja, da ist Adrenalin im Spiel, Noradrenalin, und dann, nach ein paar Tagen hast du dich beruhigt. Und dann geht es morgen wieder weiter…“ Olbricht tröstet sich damit, dass einen Kennerblick entwickelt hat, der ihm sagt: Qualität bleibt, den Preis vergisst man.

So traut sich Olbricht, die aktuelle Kunst mit Kunsthandwerk und Kuriositäten aus fünf Jahrhunderten zu kombinieren, ganz nach dem Prinzip der Wunderkammern der Renaissance und des Barock, Elfenbeinschnitzereien und Stundengläser, Bergkristalle, Muscheln und Korallen, aber auch die Rettungsautos der frühen Jahre: „Was glauben Sie, wo die Schulklassen, die hierher kommen, als erstes stehen? Es ist ein Weg, die nächste Generation ins Museum zu locken.“